Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
ihn vor ihrem Unfall auch nur äußerst selten besucht hatte.
Besuch hatte er ohnehin fast nie, und ein guter Gastgeber war er gewiss auch nicht. Bereits seit dem Auszug seiner Exfrau Rhona war es ihm nie mehr so richtig gelungen, die Lücken zu schließen, die sie hinterlassen hatte. Jemand hatte die Wohnung mal als »Höhle« bezeichnet, und das war gar nicht so falsch. Ja, er fühlte sich dort irgendwie behütet, und mehr erwartete er auch gar nicht. Nebenan hatten die Studenten gerade eine CD eingelegt, die an eine - ziemlich schwache -Hawkwind-Nummer von vor zwanzig Jahren erinnerte. Woraus Rebus schloss, dass es sich nur um die Musik einer extrem angesagten neuen Band handeln konnte. Er durchwühlte seinen eigenen Fundus und förderte schließlich die Kassette zu Tage, die Siobhan für ihn aufgenommen hatte: die Mutton Birds - drei Lieder von einem ihrer Alben. Die Jungs kamen aus Neuseeland oder so was, und eines der Instrumente war in einem Tonstudio in Edinburgh aufgezeichnet worden. Mehr hatte sie ihm auch nicht über die Band sagen können. Der zweite Song hieß »The Falls«.
Er ließ sich wieder in den Sessel fallen. Auf dem Boden stand eine Flasche Talisker, ein klarer, fein ausgetüftelter Geschmack. Daneben ein Glas, also goss er sich einen Schluck ein, prostete seinem Spiegelbild im Fenster zu, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Das Wohnzimmer konnte so bleiben, wie es war. Das hatte er doch erst vor nicht allzu langer
Zeit gemeinsam mit seinem alten Freund und Kumpel Jack Morton renoviert. Jetzt war Jack tot, war einer von zu vielen Geistern, die Rebus' Gedanken bevölkerten. Rebus überlegte, ob ein Umzug ihm dabei helfen würde, sie abzuschütteln. Ir-sendwie hatte er seine Zweifel, und im tiefsten Innern würden sie ihm jedenfalls fehlen.
Die Musik kreiste um die Themen Verlust und Erlösung. Alles war ständig in Bewegung, und in der Ferne verflüchtigten sich die Träume immer mehr. Rebus hatte das Gefühl, dass er auch ohne die Arden Street ganz gut würde leben können. Es war an der Zeit, etwas Neues zu beginnen.
4
Am folgenden Morgen musste Siobhan auf dem Weg zur Arbeit pausenlos an Quizmaster denken. Da er sie auf ihrem Handy nicht angerufen hatte, formulierte sie im Geiste bereits eine weitere Nachricht, die sie ihm schicken wollte. Ihm oder ihr. Natürlich musste man überstürzte Urteile tunlichst vermeiden, trotzdem war Quizmaster für sie ein Mann. »Stricture«, »Hellbank«... für sie klangen diese Begriffe eindeutig männlich. Und auch die Idee, per E-Mail so ein abgedrehtes Spiel zu veranstalten, erinnerte sie verdammt an einen verklemmten Kerl, der allein zu Hause in seinem Schlafzimmer hockte. Sah im Übrigen ganz so aus, als ob sie mit ihrer ersten Nachricht - Hab da ein Problem. Wir sollten miteinander reden. Flipside ~ nichts erreicht hätte. Also musste sie - Siobhan -in ihrem eigenen Namen auftreten und in der nächsten E-Mail ganz offen Flips Verschwinden ansprechen und diesen Quizmaster darum bitten, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Das Handy hatte die ganze Nacht neben ihr gelegen, und Siobhan war fast stündlich aufgeschreckt, um nachzusehen, ob ein Anruf eingegangen war. Doch nichts war passiert. Als es draußen hell geworden war, hatte sie sich dann angezogen und war spazieren gegangen. Ihre Wohnung lag unweit der Broughton Street in einem Viertel, das gerade mit Hochdruck saniert wurde: Zwar waren die Wohnungen bislang noch etwas preiswerter als in der benachbarten Neustadt, aber dafür lag die Gegend näher am Stadtzentrum. Jedenfalls stand in Siobhans Straße fast vor jedem zweiten Haus ein Schuttcontainer, und ab sieben Uhr früh war die ganze Gegend mit den Fahrzeugen der Baufirmen zugeparkt.
Sie unterbrach ihren Spaziergang mit einem Frühstück in einem Lokal, das zu dieser Zeit bereits geöffnet hatte: Bohnen auf Toast und dazu einen Becher Tee, der so stark war, dass sie schon eine Tanninvergiftung fürchtete. Anschließend blieb sie eine Weile oben auf dem Calton Hill stehen und blickte auf die Stadt hinunter, die sich gerade für einen neuen Tag wappnete. Jenseits von Leith vor der Küste lag ein Containerschiff. Im Süden hing eine niedrige Wolkendecke wie ein wärmendes Federbett über den Pentland Hills. Auf der Princes Street war fast noch nichts los: hauptsächlich Busse und Taxis. Siobhan mochte Edinburgh am liebsten um diese Tageszeit, bevor das übliche Treiben einsetzte. Von ihrem Standort aus gehörte das Balmoral Hotel zu den
Weitere Kostenlose Bücher