Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
können, wie die Gegend sich allmählich verändert hatte. Weniger Familien und alte Leute, dafür mehr Studenten und junge kinderlose Paare. Im Übrigen gingen sich die Alteingesessenen und die neuen Bewohner des Viertels tunlichst aus dem Weg. Leute, die ihr ganzes Leben in Marchmont verbracht hatten, mussten zusehen, wie ihre Kinder wegzogen, weil sie sich die Gegend nicht mehr leisten konnten. Rebus kannte neuerdings in seinem Haus keinen einzigen Menschen mehr, nicht einmal seine Etagennachbarn. Seines Wissens war er dort jetzt der einzige Bewohner, der zugleich auch Eigentümer war. Und noch bedrückender: Augenscheinlich war er jetzt dort auch der älteste Bewohner. Aber trotz der horrenden Immobilienpreise fand er in seinem Briefkasten immer wieder Kaufgesuche fremder Leute, und so drehte sich die Spirale unaufhörlich weiter.
Deshalb wollte er dort ausziehen. Nicht, dass er schon ein neues Kaufobjekt gefunden hatte. Sicher: Natürlich konnte er auch was mieten, dann war er sogar flexibler: ein Jahr in einem kleinen Landhaus, dann ein Jahr am Meer und danach vielleicht ein oder zwei Jahre über einer Kneipe... Die Wohnung war ohnehin zu groß für ihn, das war völlig klar. Kein Mensch übernachtete je in einem der Gästezimmer, und er selbst verbrachte die Nacht oft genug in dem Sessel im Wohnzimmer. Eigentlich wäre eine Zweizimmerwohnung völlig ausreichend für ihn - alles andere war irgendwie übertrieben.
Auf der Gegenfahrbahn Volvos, BMWs und schnittige Audis... Rebus überlegte, ob er sich ein Leben als Pendler vorstellen mochte. Von Marchmont aus konnte er wenigstens zu Fuß zur Arbeit gehen, und zwar in einer Viertelstunde - die einzige körperliche Aktivität, die er sich zumutete. Nein, das war nichts für ihn: jedenTag zwischen Falls und der Stadt hin-und herzugurken. Als er dort gewesen war, hatte er im Ort zwar kaum Autos gesehen, aber schon in ein, zwei Stunden
würden die Autos auf der engen Hauptstraße vermutlich dicht an dicht stehen.
Als er dann in Marchmont nach einem Parkplatz Ausschau hielt, fiel ihm noch ein Grund dafür ein, weshalb er dort nicht mehr wohnen wollte. Am Ende stellte er den Saab einfach im Parkverbot ab und besorgte sich im nächstgelegenen Laden eine Abendzeitung, Milch, Brötchen und Speck. Er hatte sich telefonisch auf dem Revier erkundigt, ob er dort gebraucht würde - was nicht der Fall war. Oben in der Wohnung holte er sich eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und machte es sich im Wohnzimmer in dem Sessel am Fenster bequem. Drüben in der Küche war das Chaos noch größer als gewöhnlich, weil er dort während der Eiektroarbeiten nämlich einige der Sachen verstaut hatte, die sonst im Gang standen. Wann die Leitungen zuletzt neu verlegt worden waren, wusste er nicht mehr. Wahrscheinlich bevor er die Wohnung gekauft hatte. Auch den Maler, der den Wänden nach Abschluss der Elektroinstallationen einen blassrosa Anstrich verpassen sollte, hatte er schon bestellt. Man hatte ihm gesagt, dass es sinnlos sei, allzu viel Geld in etwaige Verschönerungsmaßnahmen zu stecken, da ein potenzieller Käufer die Wohnung mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin ein weiteres Mal komplett renovieren lassen werde. Also beließ er es bei den neuen Elektro-leitungen und dem frischen Anstrich. Selbst im Baureferat hatte niemand gewusst, welchen Preis er - Rebus - für seine Wohnung verlangen konnte. Wer in Edinburgh eine Wohnimmobilie auf den Markt brachte, nannte zunächst einen Mindestpreis, konnte jedoch vielfach einen um dreißig bis vierzig Prozent höheren Erlös erzielen. Einer konservativen Schätzung zufolge hatte Rebus' Refugium in der Arden Street etwa einen Wert von hundertfünfundzwanzig- bis hundertvierzig-tausend Pfund. Außerdem war die Wohnung nicht belastet. Sie war bares Geld wert.
»Damit können Sie sich doch bequem zur Ruhe setzen«, hatte Siobhan mal gesagt. Na ja, vielleicht. Allerdings musste er seiner Exfrau von dem Geld wahrscheinlich die Hälfte abgeben, obwohl er ihr schon damals unmittelbar nach der Trennung per Scheck ihren Anteil an der Kaufsumme zurückerstattet hatte. Und seine Tochter Sammy konnte sicher auch ganz gut ein bisschen Geld gebrauchen. Ja, Sammy war ein weiterer Grund, weshalb er verkaufen wollte - jedenfalls redete er sich das ein. Immerhin war sie endlich nicht mehr an den Rollstuhl gebunden und konnte wieder an zwei Krücken gehen. Aber über die Treppe in den zweiten Stock hinauf, das überstieg bei weitem ihre Kräfte, obwohl sie
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