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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Vor Schreck gab er das verräterische Geräusch von sich. Der dritte der auf dem Gelände verteilten vier Beamten, der das Unigelände von der gegenüberliegenden Schlüterstraße aus im Auge behalten sollte, hatte das geparkte Motorrad zwar bemerkt, war aber just in dem Moment, als der Mann es bestieg, mit einer kleinen Pinkelpause beschäftigt. Ihm blieb nur noch, mit offener Hose ein paar nutzlose Schritte hinter dem Verdächtigen her zu hasten. Das unbeleuchtete Nummernschild konnte er nicht lesen.
    Christian legte die Berichte und Skizzen beiseite. Pleiten, Pech und Pannen, anders konnte man das nicht nennen.
    Herd kam mit frischem Kaffee aus der Küche und setzte sich dazu. »Das ist genau das, was Daniel gemeint hat«, sagte er sauer. »Chaos-Theorie. Oder Murphy’s Gesetz: Wenn Scheiße passieren kann, dann passiert sie auch.«
    Natürlich bestand die Möglichkeit, dass der Flüchtende ein harmloser Kleinkrimineller gewesen war. Doch keiner von ihnen glaubte daran. Sie hatten es vergurkt. Die Falle war offensichtlich geworden, ohne dass sie zuschnappen konnte. Wie offensichtlich ihre Falle gewesen war, hatten sie allerdings erst am heutigen Morgen begriffen. Bei Christian war gegen sieben Uhr eine SMS auf dem Handy eingegangen, die Daniel wieder einmal bis in die Ukraine zurückverfolgen konnte: »Halten Sie mich für blöd? Ich habe mir einen Idioten gemietet, der für ein paar Euro bereit war, sich Karen zu nähern und dann zu verschwinden. Er hielt es für ein albernes Spiel mit meiner Freundin. Für mich war es sehr erhellend. Die bescheuerte Nummer vorgestern bei ›Rach & Ritchie‹ stank schon meilenweit gegen den Himmel! So wollen Sie mich kriegen? Amüsant. Viel Glück weiterhin, Sie können es brauchen. Und herzliche Grüße an Karen. Julien«
    Nach der SMS hatte Karen darum gebeten, das Ganze abzublasen. Julien, Frank, Thorsten oder wie auch immer der »Herzensbrecher« sich im Moment nennen mochte, würde sich garantiert nicht mehr blicken lassen. Er sah doch, wie gut sie bewacht war. Christian ließ sich nicht darauf ein. Auch wenn seine Idee der offenen Flanke grandios gescheitert war, galt es weiterhin, Karen zu beschützen. Ob sie wollte oder nicht. Sie war erst außer Gefahr, wenn der Mörder gefasst wurde. Christian warnte ebenso davor, die Bewachung mit weniger Konzentration fortzuführen. Sie beobachteten Karen. Der Mörder beobachtete die Bewacher. Er würde den ersten Fehler zu seinem Vorteil nutzen.
    Christian nahm von Herd dankend den frischen Kaffee an und sah auf die Uhr. Es war kurz vor acht. In einer Stunde ging seine Maschine nach München. Christian plante, Svensson noch ein letztes Mal wegen des Samenspenders und Clarissa Wedekind in die Mangel zu nehmen. Große Hoffnung hatte er nicht. Karen war für den heutigen Tag in Volkers Obhut. Den Plan einer inszenierten Lücke in der Bewachung hatten sie fallenlassen. Jetzt gab es keinen Plan mehr.
     
    Seit vier Tagen lebte Karen unter permanenter Überwachung. Entweder trabte ein Beamter direkt an ihrer Seite oder es gab mehrere Beobachter in Zivil, die sie aus gebührendem Abstand im Auge behielten. Langsam ging es ihr auf die Nerven. Egal, ob sie in ihrem Cabrio zur Arbeit fuhr, ob sie einkaufen oder essen ging, einen Arzt besuchte, an der Alster entlangjoggte oder einfach nur auf einer Parkbank saß und in einer Fachzeitschrift las: Sie war nicht allein. Für jemanden von Karens Charakter war diese Fülle an unerwünschter Aufmerksamkeit schwer erträglich. In ihrem normalen Alltag kontrollierte sie selbstbestimmt, wessen Nähe sie wie weit zuließ. Sie genoss ihre Freiheit, hielt Fremde, sowie Kollegen und mitunter sogar ihre Freunde auf Distanz. Nun fühlte sie sich eingesperrt in ihrem eigenen Leben. Es war, als würde sie in einer übervollen Zelle sitzen, in der es keinerlei Privatsphäre mehr gab. Sie fühlte sich selbst beim Zähneputzen, Duschen und Pinkeln kontrolliert. Auch wenn sie in ihrem Badezimmer nicht gesehen werden konnte, ihre Aufpasser hörten, was sie tat. Karen war verkabelt, und Christian hatte ihr eingeschärft, die Verbindung niemals zu unterbrechen. Karen bekam das Gefühl, dass sie langsam eine Art Verfolgungswahn entwickelte, wobei sie der fatalen Verwirrung erlag, diejenigen zu hassen, die sie beschützen wollten. Ihre Kollegen könnten aus Langeweile mit der Armbanduhr stoppen, ob sie sich tatsächlich die empfohlenen drei Minuten lang die Zähne putzte. Sie könnten hämisch kommentieren, wie

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