Puppenspiele
vielleicht projizierte, also Sachverhalte über sich selbst auf seine Opfer übertrug. Schließlich gab es im Leben der beiden getöteten jungen Frauen keinerlei Zusammenhang zu einem ›dritten Geschlecht‹. Die Projektionsthese hielt Christian allerdings für einen Irrweg. Dieser Thorsten war von Catrin als gut aussehend, sehr männlich und eindeutig heterosexuell beschrieben worden. Das klang herzlich wenig nach einer Verwirrung der eigenen Geschlechtszugehörigkeit.
Als der Sarg von Catrin Rahnberg in die Graböffnung hinabgelassen worden war, warfen ihre Freunde und Freundinnen statt Erde oder Blumen persönliche Gegenstände in die Grube: Schokolade, Stofftiere, eine CD, ein Armreif, ein Gedichtband, sogar ein Cheeseburger war dabei. Unterdessen sang eine junge Frau mit Akkordeonbegleitung voller Inbrunst Edith Piafs »Je ne regrette rien«.
Christian beobachtete häufig die Beerdigungen von Opfern und blieb dabei ungerührt und professionell. Die Stimmung bei dieser Beisetzung jedoch bewegte ihn. Er hatte das Gefühl, er hätte Catrin gemocht, wenn er sie gekannt hätte. Irgendwie mochte er sogar die arrogante Professorin, wenn er sie jetzt so ansah in ihrer bemüht aufrechten Haltung. Petra Rahnberg besaß trotz allem noch die Kraft, Catrins weinenden Freundinnen mit kleinen Gesten Trost zu spenden. Christian empfand Respekt vor ihr.
Nach der Beisetzung und einigen Minuten stummen Gedenkens bestiegen die Gäste ihre Autos, um zum nahe gelegenen Haus von Frau Rahnberg zu fahren, wo eine Gartenparty stattfinden sollte. Petra Rahnberg stand noch etwas länger am Grab und ließ sich von Kollegen und entfernten Bekannten kondolieren. Als auch sie sich auf den Weg zu ihrem Auto machte, trat ihr ein fetter, stark schwitzender Mann in den Weg, der sich bislang ebenso wie Christian und Volker dezent im Hintergrund gehalten hatte.
»Frau Professor Rahnberg, verzeihen Sie mir bitte, dass ich Sie zu einem so unpassenden Zeitpunkt anspreche. Ich bin Jochen Kratz vom Berliner Morgenecho. Ich habe Ihnen schon mehrfach aufs Band gesprochen …« Er streckte ihr seine feuchte Hand hin.
Petra Rahnberg übersah sie. »… und ich habe nicht zurückgerufen. Was schließen Sie daraus?«, unterbrach sie ihn mit dem ihr eigentümlichen Hochmut.
»Hören Sie mich bitte nur ganz kurz an. Ich habe Informationen über den Tod Ihrer Tochter, die man Ihnen bislang vorenthalten hat.«
Petra Rahnberg hatte dem Journalisten schon den Rücken zugewandt, um zu gehen, doch nun drehte sie sich wieder nach ihm um: »Welche?«
»Sie werden verstehen, dass ich Informationen gerne tauschen möchte.«
»Sagen Sie mir, was Sie wissen!«
»Und wer garantiert mir, dass Sie mir auch behilflich sein werden?«
»Niemand.«
Christian und Volker standen bei Striebeck neben dessen Dienstwagen und beobachteten aus der Ferne das Gespräch zwischen Petra Rahnberg und dem Mann.
»Weißt du, wer das ist?«, fragte Christian.
»Jochen Kratz vom Morgenecho.«
»Das ist die Zeitung, die direkt nach dem Mord ein Foto von der leeren Holzkiste mit dem Stuhl drin veröffentlicht hat, oder?«
Striebeck nickte: »Das Foto hatte er garantiert von einem Angestellten bei Madame Tussauds. Sah aus wie mit einem Handy geschossen.«
»Über die mangelhafte Abriegelung des Fundortes haben wir schon gesprochen. Wieso redet unsere Professorin auf der Beerdigung ihrer Tochter mit einem Schmierfinken von der Presse?«
»Jochen Kratz ist keiner von der ganz schlimmen Sorte. Er hält sich immer an die Fakten und manipuliert seine Leser nicht«, warf Striebeck ein. »Dass Frau Rahnberg mit ihm redet, ist allerdings kein gutes Zeichen. Kratz hat hervorragende Kontakte, vermutlich auch in Polizeikreisen.«
»Du meinst Informanten, die durch Weitergabe von zurückgehaltenen Fakten ihr Gehalt aufbessern und unsere Ermittlungen torpedieren?« Christians Laune verschlechterte sich zusehends.
Striebeck konnte keine Antwort geben, denn Petra Rahnberg näherte sich eilig, hielt vor Volker an und versetzte ihm mit beiden Händen einen Stoß, der für ihn so unerwartet kam, dass er nach hinten taumelte und sein kahl rasierter Schädel gegen den Stamm einer Buche schlug.
»Wir müssen uns gegenseitig vertrauen? Dann definieren Sie mir Ihr Verständnis von ›gegenseitig‹!«
Sie wandte sich an Christian: »Und wie kommen Sie dazu, mir zu verschweigen, dass meiner Tochter das Herz entfernt wurde? Genau wie bei dem Opfer in München?«
Christian wollte Volker ein Zeichen
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