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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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dumm! Hatten Sie eine Affäre mit dem Kerl?«
    Clarissa zögerte lange. »Einen läppischen One-Night-Stand in Hamburg.«
    »Dieser Kerl ist kein irrer Stalker, der Sie mit makaberen Aufmerksamkeiten in die Enge treiben will. Er weiß etwas von Ihnen. Was würde passieren, wenn die Polizei erfährt, womit er Sie in der Hand hat? Müssen Sie mit Gefängnis rechnen?«
    »Das ist nicht das Problem, ich sage doch, es war nichts Schlimmes. Was mir droht, ist öffentliche Aufmerksamkeit. Gerede. Gerüchte. Schlechte Presse. Wenn ich mit diesem Killer in Verbindung gebracht werde, kann ich alles vergessen, was ich in den letzten Jahrzehnten mühsam aufgebaut habe. Um es ganz deutlich zu sagen: Ich bin im Arsch!«
    »Es geht also um Ihre Karriere.«
    »Um mein Leben.«
    Müde erhob sich Clarissa vom Sofa. Sie wollte die Fragestunde beenden. Sie wollte den gesamten Tag beenden und einfach vergessen. Sie wollte schlafen, um dann am nächsten Morgen aufzuwachen in der beruhigenden Gewissheit, alles nur geträumt zu haben.
    »Vertrauen Sie mir«, sagte sie erschöpft zu Howela.
    Der lachte: »Einer Frau? Machen Sie Witze?«
    Clarissa bat Howela, über Nacht zu bleiben. Sie hatte das Gefühl, ihn an sich binden zu müssen, damit er nicht auf die Idee kam, zur Polizei zu gehen. Außerdem hatte sie Angst. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte die Schneekönigin Clarissa Wedekind Angst. Eine Scheißangst.
    TEIL II
ROLLENSPIELE
    26. August 2009:
Straßburg.
    Als die Dunkelheit hereinbrach, entledigte sich der bislang heißeste Tag des Jahres seines klebrigen Hitzefilms durch ein heftiges Sommergewitter. Niklas stand vor der Tür seines kleinen Hauses und genoss die über den fahlen Himmel zuckenden Blitze. Sie erhellten in gigantischen Zickzackkurven für Bruchteile von Sekunden die Nacht. Er stand da, sog das grelle Licht in sich auf und fieberte dem unweigerlich folgenden, krachenden Donner entgegen. Dazu prasselte der Regen, erst in heftigen, warmen Güssen, dann in harmloser Gleichförmigkeit.
    Niklas liebte Gewitter. Er liebte jegliche Entladung von Naturgewalten, die dem Menschen unzweifelhaft ins Gedächtnis riefen, dass er nichts war als ein Wurm, ein elender. Wie gerne hätte Niklas einmal einen Vulkanausbruch gesehen. Glühende Lava, unaufhaltsam vor sich hin wälzend, alles Leben unter sich erstickend, verbrennend, begrabend. Wie gerne würde er einmal unter einem Wasserfall stehen, am besten unter dem Salto Angel in Venezuela, wo pro Sekunde Abertausende von Litern mit ungeheurer Geschwindigkeit gen Erdmittelpunkt stürzen und in meterhoher Gischt, sprühend in unendlich schönen Kristallen, die unfassliche Kraft aufprallt, auf ihn, Niklas. Da würde er dann stehen, unbekleidet und ungeschützt, um die Gewalt zu spüren, die ihm die Haut in Fetzen reißen und die Seele aufs Neue zertrümmern würde. Oder einen Sandsturm erleben, der einem die Sicht und den Atem raubt und alle Poren verstopft, bis nur noch eins bleibt: der Mensch in Todesangst. Ausgeliefert dem Tosen und Toben winzigster Partikel, jeder Kontakt einem Nadelstich gleich. Und mittendrin er, Niklas, der sich ausziehen und die Arme ausbreiten würde, um seine Haut versengen zu lassen, bis die Sandkörner das Wort »ausgeliefert« in seine Haut tätowiert hätten und er endlich, endlich so etwas Ähnliches wie erlösende Freude über den Schmerz empfinden könnte.
    Niklas befand sich seit einigen Tagen in Straßburg. Er hatte sich in einem ehemaligen Kutscherhaus im Hinterhof einer Villa eingemietet. Das Kutscherhaus war winzig, bot jedoch einige Vorteile, die für Niklas entscheidende Bedeutung besaßen: Es war durch ein schmiedeeisernes Türchen über den rückwärtigen Garten zugänglich, sodass er keinen Kontakt mit den Bewohnern des Vorderhauses zu fürchten hatte noch den Concierge zu Gesicht bekam. Große Platanen schützten das Häuschen vor neugierigen Blicken aus den vielen Fenstern auf der Rückseite der Villa.
    Niklas reiste mit französischem Pass und nannte sich Fréderic Rouge-Joue. Obwohl er die Landessprache perfekt beherrschte und wie immer mit den besten Manieren und dem freundlichsten Wesen auftrat, hatte ihn der Concierge bei der Schlüsselübergabe misstrauisch beäugt. Ganz offensichtlich mochte er ihn nicht und beschäftigte sich deshalb auch nicht weiter mit ihm. Falls der Concierge in die Verlegenheit kommen sollte, von der Polizei befragt zu werden, würde er ihnen nicht viel sagen können: »Monsieur Rouge-Joue? Hab ich nur einmal

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