Puppenspiele
Hände in ihrem Schoß. »Sie sind also im Auftrag eines Notars unterwegs und suchen unseren Niklas, Herr Rodenberg«, fasste sie das bisher Gehörte zusammen.
Howela nickte. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass Worte wie »Notar« und »Erbschaftsangelegenheit« bei den Menschen Tür und Tor öffneten. Wenn er dann auch noch weiteren Fragen mit seiner »Verschwiegenheitspflicht« auswich, sah er stets das Glänzen in den Augen seiner Gegenüber, das ihn an die tanzenden Dollarzeichen in Dagobert Ducks Blick erinnerte. Howela fand es seltsam, dass selbst Menschen, in deren Verwandtschaft es keinerlei Anzeichen für die Anhäufung von Geld oder Kapitalvermögen gab, dennoch von unverhofften, großen Summen zu träumen begannen, sobald er sich in Schweigen hüllte. Als wäre sein Schweigen eine geheimnisvolle Schatzkarte, die man nur zu entschlüsseln brauchte, um die Kiste mit den Golddukaten zu heben. Alle wurden sie von einer gewissen Aufregung gepackt, ganz so, als könne selbst der weit entfernte Schein der Golddukaten oder sogar die bloße Jagd danach ein wenig Licht auch in ihr trübes Dasein bringen.
»Sie werden sicher verstehen, dass ich Ihnen aufgrund meiner Verschwiegenheitspflicht keine genaueren Angaben machen darf … Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass es von äußerster Wichtigkeit ist, dass ich Niklas so schnell wie möglich finde.«
»Wir haben schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm«, meinte Edmund.
Howela würgte den ersten Schluck des Kaffeegebräus hinunter, der nicht ganz so schlimm schmeckte, wie er befürchtet hatte. Er konzentrierte sich auf Ruth. Ihre Augen glänzten mehr als die ihres Mannes. Außerdem fürchtete Howela, er könnte Herrn Schmitt aus Versehen mit dem Namen Schlämmer anreden.
»Alles, was Sie mir über ihn erzählen, kann uns helfen, ihn zu finden. Ich wäre Ihnen außerordentlich verbunden.« Howela schlug sein kleines Notizbuch auf und tat so, als läse er darin. Das wirkte seriös. »Sie haben Niklas im April 1982 adoptiert?«
Ruth nickte eifrig: »Er ist am achtzehnten in einem Krankenhaus in Hamm zur Welt gekommen. Dann hat das noch ein bisschen gedauert mit den Papieren. Etwa eine Woche später haben wir ihn mit nach Hause nehmen dürfen.«
»Was wissen Sie über die leibliche Mutter?«
Mit verschwörerischem Blick beugte sich Ruth nach vorne: »Da gilt doch auch das mit der Verschwiegenheit. Wir durften nichts über die und die nichts über uns erfahren!«
»Aber Sie wissen etwas, oder? Das sehe ich Ihnen doch an!«
»Meine Schwägerin, also Edes kleine Schwester, hat damals als Krankenpflegerin in Hamm gearbeitet. Und Sissy, so heißt Edes kleine Schwester, hat uns gesteckt, dass die Mutter eine halbe Polin war, die das Baby nicht behalten wollte oder konnte. Bestimmt eine ganz traurige Geschichte … Vielleicht war sie irgendwo Putze und hatte ein Verhältnis mit dem Hausherrn …«
Howela war davon überzeugt, dass Ruth Schmitt ihre Tage im nimmermüden Kampf gegen den Staub und mit dem Genuss von Soaps und Telenovelas bestritt. Krieg und Frieden in Gelsenkirchen, sozusagen.
»Wenn ich mir angucke, wie Niklas sich entwickelt hat, war die Polin garantiert ’ne Nutte, die ihre Kohle lieber für Drogen als für Windeln ausgeben wollte!«
»Ede!«, mahnte Ruth ihren politisch inkorrekten Mann. Ihre eigene Version erschien ihr moralisch offensichtlich vertretbarer.
»Is doch aber wahr!«, maulte Ede.
Howela fand den Wahrheitsbegriff im Schmittschen Haushalt recht fragwürdig. »Wie hat sich Niklas denn entwickelt, Herr Schl… Herr Schmitt?«
»Ich war ja von Anfang an gegen eine Adoption. Man weiß doch nie, was man kriegt. Und recht hab ich gehabt!«
»Dabei war er so ein süßes Baby …«, erinnerte sich Ruth verträumt.
»Jaha!«, bellte Ede auf. »Aber dann!«
Es klingelte. Ruth sprang erfreut auf: »Das ist unsere Tochter Isabel. Unsere richtige Tochter. Ich hab sie gebeten, auch zu kommen. Sie kommt ja so selten …«
Isabel war eine hübsche, reichlich angepunkte Frau Anfang dreißig, die Howela mit kühlem Nicken begrüßte, sich neben ihren Vater aufs Sofa warf, ein Päckchen Tabak herausholte und sich mit geschickten Fingern eine Zigarette drehte, während sie ihre nicht zugeschnürten Springerstiefel unter dem Tisch abstreifte.
»Möchte gern mal wissen, warum jemand diesen kleinen Wichser Niklas sucht. Und was ich damit zu tun habe.«
»Isa! Drück dich nicht so aus, wir haben Besuch! Wir sollen dem Herrn Rodenberg alles
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