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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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dessen Erwartungen er jederzeit und ohne Anstrengung übererfüllte. Wenn es, wie Sarah gesagt hatte, um Liebe ging, um tiefe und wahre Liebe, dann begannen sie mit dem Herzen zu sehen. Und er fiel durch die Prüfung. Denn sie sahen, dass er keins hatte.
    Nahezu jeden Tag dachte Niklas an Clarissa. Bislang empfand er nur kalte Verachtung für sie. Aber er arbeitete gewissenhaft daran, sie zu hassen. Damit er tiefen und wahren Genuss verspüren konnte, wenn er Clarissas Leben zerstörte. Die völlige Vernichtung sollte ihre Strafe sein, wenn er nicht fand, was er suchte, wenn er nicht bekam, was er wollte: eine ebenbürtige Gefährtin, die ihm gab, was er nicht kannte – Liebe. Niklas wollte lernen zu lieben. Oder zumindest das Gefühl erfahren, zu jemandem zu gehören. Daran arbeitete er. Planvoll und konzentriert. Um die eine Gefährtin zu finden. Ein Wesen wie er. Ein Unwesen.
    Niklas wandte sich vom Gewitter ab und kehrte zurück zu dem Resopalküchentisch, auf dem er sein gesammeltes Material über Sandrine geordnet hatte. Sandrine Lacour, dreißig Jahre alt, Konferenzdolmetscherin bei der EU. Sandrine war nicht so hübsch wie Mira und Catrin. Sie war mager, ihr kurzes mittelblondes Haar glanzlos, und sie war drei Jahre älter als er, was Niklas als Nachteil einordnete. Aber sie beherrschte sechs Sprachen fließend, kleidete sich edel und geschmackvoll, schien hochbegabt und unterkühlt. Seit vier Tagen studierte er Sandrines Lebensgewohnheiten hier vor Ort in Straßburg. Sie verbrachte ihre Tage äußerst strukturiert und ihre Nächte allein. Zweimal war sie abends mit einem Kollegen essen gewesen, ignorierte aber dessen deutliche Avancen mit einer Kälte und Beharrlichkeit, die Niklas beeindruckten. Ihre Mittagspause verbrachte sie jeden Tag in einem Café gegenüber des Parlamentsgebäudes.
    Dort saß auch Niklas am nächsten Tag. Er trug grüne Kontaktlinsen, hatte die Haare brünett gefärbt und einen farblich angepassten Dreitagebart stehen lassen, was ihm einen leicht verwegenen Ausdruck verlieh. Er blätterte in einer Kunstzeitschrift. Über Sandrines Facebook-Einträge hatte er neben vielen anderen nützlichen Details erfahren, dass sie gerne in Ausstellungen ging und besonders Expressionisten mochte, vor allem Nolde und Kokoschka.
    Als Sandrine pünktlich wie immer das Café betrat, ließ er wie zufällig seinen Blick durch das Lokal schweifen und einen Tick zu lange auf ihr ruhen. Sie bemerkte es, tat aber nicht schüchtern oder gar verschämt, sondern erwiderte seinen Blick offen und souverän, was er als gutes Zeichen verbuchte. Vielleicht war sie ja die Richtige und würde ihn nicht so bitter enttäuschen wie die anderen. Vielleicht war es ja gut, dass sie älter war. Gereifter. Mehr bei sich. Mehr bei ihm.
    Sandrine ging dicht an ihm vorbei, bemerkte das Kunstmagazin und nahm entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit nicht am Fenster Platz, sondern an einem Tisch, von dem aus sie Niklas beobachten konnte. Das Spiel begann.
    27. August 2009:
Gelsenkirchen.
    Thomas Howela saß im mit Schalke-04-Devotionalien vollgestopften Wohnzimmer des Ehepaares Edmund und Ruth Schmitt und begriff zum ersten Mal, was mit »Gelsenkirchener Barock« gemeint war. Schwere und reich ornamentierte Möbelstücke bedrückten das Gemüt. Ein intensiver Geruch nach Politur, mit der die Hausfrau ihre furnierten Schränke, Kommoden und Vitrinen auf Hochglanz brachte, schwängerte die stickige Luft. Sonnenstrahlen mühten sich durch die leicht vergilbten Vorhänge und warfen helle Schneisen in das ansonsten düstere Zimmer. In den Lichtstrahlen tanzten Staubflocken.
    Frau Schmitt kam mit frisch aufgebrühtem Filterkaffee aus der Küche, goss die schwach braune Flüssigkeit in filigrane Sammeltassen und kredenzte Plätzchen in einer versilberten Etagere. »Gott, ich habe ja immer noch meine Kittelschürze an«, bemerkte sie erschrocken, als sie sich zu Howela und ihrem Mann setzen wollte. Blitzschnell machte sie sich fein, indem sie die Schürze auszog und mit ihr noch einmal kurz über den Wohnzimmertisch wischte, auf den sich schon wieder eine hauchfeine Staubschicht gesetzt hatte. »Dieser Staub, man kann machen, was man will …«
    »Jetzt setz dich endlich hin, Mutti, du machst mich nervös«, mahnte Edmund seine Frau. Edmund sah aus wie Horst Schlämmer und sprach auch so ähnlich. Zumindest hörte es sich für Howela so an.
    Ruth gehorchte, setzte sich artig auf die Vorderkante des altrosa bezogenen Sofas und faltete die

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