Puppenspiele
sehr schnell, sich sehr zu langweilen. Immerhin war Sandrine klug genug, das zu bemerken, und wechselte das Thema. Etwa eine Stunde lang unterhielten sie sich über alles Mögliche, dabei perlte der Champagner. Zwei Stunden später lag Sandrine erschöpft, verschwitzt und glücklich neben ihm im Bett und schmiegte sich an ihn, was er aufgrund ihrer erhitzten Körper als unangenehm empfand. Mit dem Argument, sie so besser ansehen zu können, rückte er ein wenig ab und forderte sie auf, von ihrem Leben zu erzählen.
»Was willst du denn wissen?«, fragte sie geschmeichelt.
»Alles.« Niklas hatte früh gelernt, wie sehr es Frauen beeindruckte, wenn man Interesse zeigte an allem, was sie dachten. Und vor allem fühlten.
Sandrine erzählte. Zuerst von ihrem letzten Freund, der sie vor etwa einem Jahr verlassen hatte. Über ein halbes Jahr hatte sie gelitten, obwohl sie wusste, dass es besser war, nicht mehr mit ihm zusammen zu sein. Niklas fand das unlogisch, hielt sich aber zurück und hörte weiter zu.
Sandrine holte noch weiter aus und vermutete, dass sie nicht zusammengepasst hätten. Möglicherweise, weil er viel jünger als sie war, möglicherweise, weil sie in verschiedenen Welten lebten. Niklas lächelte zufrieden. Er konnte Sandrine erklären, warum sie in verschiedenen Welten lebten. Aber noch zögerte er und hörte weiter zu.
Sandrine erzählte von ihrer unbeschwerten Kindheit. Von den geliebten Eltern und dem angehimmelten Großvater, der Maler war und in ihr die Liebe zur Kunst geweckt hatte. Niklas’ Miene verfinsterte sich. Er fragte Sandrine, ob sie viele Freunde gehabt hatte als Kind. Sie bejahte erfreut und erzählte kleine Anekdoten von unbeschwerten Sommerferien im Elsass und im Schwarzwald, wo ihr leider viel zu früh verstorbener Vater geboren worden war. Sie erzählte von ihrer kleinen Katze Kimmi und dem unendlichen Leid, das sie empfand, als Kimmi von einem sadistischen Nachbarn zu Tode getreten worden war. Dabei traten Tränen in ihre Augen. Sie wischte sie schnell weg und lächelte etwas peinlich berührt. Und erzählte weiter. Von ihrem ersten Fahrrad. Von der Zahnspange. Von dem ersten Kuss, der ganz grässlich gewesen war. Sandrine belächelte alles ein wenig wehmütig. Sie sprach von einer ganz normalen Kindheit, von Glück und Geborgenheit. Und man merkte ihr an, wie erfreut sie war, ihre Erinnerungen und damit sich selbst vor Niklas ausbreiten zu dürfen. Immer enger schmiegte sie sich an ihn, legte ihren Oberschenkel quer über die seinen und blickte ihn aus verhangenen Lidern an. Sandrine war dabei, sich in Niklas zu verlieben. Zumindest würde sie das glauben.
Niklas wusste es besser. Sandrine verliebte sich nicht in ihn, sondern in sein Interesse an ihr. Sie nahm nicht ihn wahr, sondern nur ihre Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Sie wollte nicht ihn, sondern nur, dass er ihr gab, wonach sie sich sehnte. War es das, was sie Liebe nannten?
Seine Miene verfinsterte sich weiterhin. Falls Sandrine nicht das Blaue vom Himmel herunterlog, hatte sie die Erfahrung der Fremdheit in dieser Welt nicht gemacht. Dann würde er ihr die Augen öffnen müssen. Aber noch war alles möglich. Er würde sie bis morgen prüfen. So viel Zeit wie bei Sarah würde er nie wieder vergeuden. Sarah betrachtete er inzwischen als ungültigen Versuch. Sie war ein Irrweg gewesen, dessen einziger Nutzen darin bestand, nun klar umrissene Kriterien für seine Auswahl zu haben. Und klar umrissene Kriterien für die Vorgehensweise beim Versagen seiner Probanden. Morgen würde er wissen, ob Sandrine die Richtige war. Vorher würde er noch ein-, zweimal mit ihr schlafen. Sie bewegte ihre Hüften ganz gut.
Irgendwann in der Nacht würde sie beginnen, ihm Fragen zu stellen. Um abzugleichen und auszuloten. Vielleicht würde sie ihm wie Mira dämliche Fragen stellen nach seinem Sternzeichen. Wo er sich in fünf Jahren sähe. Ob er tierlieb wäre. Ob er Kinder haben wollte. Vielleicht würde sie das alles wie Catrin etwas klüger und origineller verpacken. Letztlich war es aber bei beiden Kandidatinnen der gleiche Mist gewesen: eine unerklärliche Sehnsucht nach Durchschnittlichkeit. Mit Sarah hatte er das Experiment des mediokren Lebens durchführen wollen. Er war neugierig gewesen, ob das Sein tatsächlich sein Bewusstsein bestimmt hätte. Aber sie hatte sich geweigert und ihn zurückgewiesen.
Sandrine war im Moment noch weit davon entfernt, ihn zurückzuweisen. Aber er wusste, dass das ganz schnell gehen konnte.
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