Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
Vom Netzwerk:
einen Mordsrespekt vor ihm, auch wenn ich das natürlich nicht zeigen wollte. Respekt zeigt man vor einem Menschen und seinem Verhalten, nicht vor einem Quotienten. Wie dem auch sei, er hat es natürlich gespürt. Und von da an war er etwas zugänglicher. Nur bei mir, die anderen Betreuer und Bewohner hat er vollkommen links liegen lassen.«
    In Rainer Carstens’ Stimme schwang unverhohlen Stolz mit.
    »Was war mit seiner Gewalttätigkeit?«
    »Er hat sich entschieden, dass er sich lieber mit seiner Intelligenz durchs Leben schlägt. Das wäre weniger anstrengend, sagte er damals grinsend zu mir.«
    »Und was ist aus ihm geworden?«
    Carstens hob mit ehrlichem Bedauern die Schultern: »Er wollte unbedingt Medizin in Genf studieren. Die haben ihn mit Kusshand genommen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Nichts. Kein Brief, kein Anruf, kein gar nichts.«
    Also gut, dachte Howela. Genf. Er war schon lange nicht mehr in Genf gewesen. Carstens begleitete ihn zur Haustür. Dort fiel Howela noch etwas ein: »Rainer, ich habe gestern vergessen, die Schmitts zu fragen, ob Niklas wusste, dass er adoptiert war.«
    »Und ob. Das ist Herrn Schmitt wohl mal unschön rausgerutscht. Frei nach dem Motto: Man weiß nie, was man für eine Scheiße geliefert kriegt. Das hat Niklas garantiert sehr verletzt, auch wenn die Kids so was nicht zugeben. Ich habe ihm gesagt, dass die Herkunft schnurz ist. Dass er erkennen muss, wer er selbst ist. Und das soll er dann sein. Das ist das Beste für ihn.«
    Aber nicht für andere, dachte Howela und verabschiedete sich mit einem freundlichen Handschlag.
    29. August 2009:
Straßburg.
    Es war früher Morgen. Sandrine lag in der Badewanne. Niklas hatte ihr die Hände auf den Rücken gefesselt und die Füße zusammengebunden. In ihrem Mund steckte ihr zu einem Knäuel geknüllter Seidenslip. Sie lag halb auf dem Rücken, den Unterkörper in Seitenlage verdreht. Niklas hatte sie nicht betäubt. Sie war ihm so sehr auf die Nerven gegangen, dass sie diese Gnade nicht verdiente.
    Es war total mies gelaufen. Nicht überraschend, aber mies. Nachdem sie zweimal miteinander geschlafen hatten, kuschelte sie sich noch enger an ihn. Die verwöhnte Prinzessin Sandrine Lacour sah sich auf der Zielgeraden zu ihren kleinbürgerlichen Träumen. So schnell. So naiv. Sie begann mit dem »Bist du mein Prinz?-Quiz«. Ihre Küsse sollten dabei die gewünschten Antworten unterstützen, wenn nicht gar hervorholen wie eine banale, körperliche Variante der sokratischen Hebammenmethode. Ob er impulsiv sei. Ob er Impulsivität nur privat oder auch beruflich gut finde. Was er sich wünschte. Was er fühle. Ob er sich oft schnell verlieben würde. Ob er dann die Liebe plötzlich wieder verlieren würde wie ein Taschentuch. Was er von Treue halte. Wie wichtig ihm Karriere sei. Ob er erwarten würde, dass seine Frau, falls er denn jemals heiraten würde, ihren Job aufgebe. Ob er sich vorstellen könnte, auf dem Land zu wohnen. Kinder. Katze. Hund. Hamster. Und so weiter und so fort.
    Er antwortete ihr. Dass ihm Gefühle fremd seien, dass er sie aber lernen wolle. Dass er sich noch niemals verliebt habe. Dass er Impulsivität unvernünftig fand. Romantik was für Idioten sei. Dass er Heiraten dumm und überflüssig fand. Treue widernatürlich. Landleben unpraktisch. Kinder mehr als lästig. Haustiere widerlich.
    Sandrine war immer mehr von ihm abgerückt. Wenn er in ihre Augen blickte, sah er nicht in einen Spiegel. Er sah, was er nur zu gut kannte: Abscheu. Als sie aufstand und sich anziehen und gehen wollte und er ihr sagte, dass sie am besten gleich nackt bleiben könnte und bleiben müsste, da sah er die Angst. Ihre Angst war ein kleiner, lauer Trost über die Enttäuschung, wieder danebengegriffen zu haben.
    Jetzt lag sie in der Badewanne. Die Angst stand ihr gut. Ihre vormals glanzlosen Augen schienen zu lodern. An ihrem mageren und bislang spannungslosen Körper zeichnete sich nun jeder Muskel einzeln ab. Als hätte Michelangelo sie völlig neu modelliert. Und er, Niklas, würde sie jetzt noch schöner machen.
    Er gab ihr eine letzte Chance. Klärte sie auf. Nahm ihr den Knebel aus dem Mund, damit sie Stellung beziehen konnte. Doch sie würgte nur und spuckte und schrie ihn an: Er sei krank, ein kranker Lügner, ein perverser Irrer … Dann kam das Betteln und Weinen. Wieder langweilte sie ihn. Er stopfte ihr den Knebel zurück in den Mund. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er musste tun, was getan werden musste. Er

Weitere Kostenlose Bücher