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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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auf seine wilden Racker.
    »Sind Sie denn besser mit ihm zurechtgekommen?«
    »Das erste Jahr war knallhart. Niklas hat jeden Zugang verweigert. Dann wurde er gegen meinen Rat vom Jugendamt in eine Pflegschaft gegeben. So ein Heimaufenthalt ist nämlich ziemlich teuer für den Steuerzahler, müssen Sie wissen. Wie dem auch sei, die haben ihn vier Wochen ertragen, dann war er wieder hier. Er hatte seine Pflegemutter mit dem Messer bedroht und das Auto seines Pflegevaters mit einem Baseballschläger zerlegt. Als Abwrackprämie gab’s deftige Prügel vom Probe-Papa.«
    »Warum hat Niklas das getan?«
    Carstens lachte: »Sie fragen lustige Sachen! Haben wohl keine Kinder, was?«
    Howela schüttelte den Kopf. Er fühlte sich etwas dumm. In der Tat konnte er mit lebensbedrohlichen Krisensituationen hervorragend umgehen. Mit Kindern überhaupt nicht.
    »Dann will ich Sie mal kurz aufklären. Jeden Scheiß, den diese Kids bauen, den bauen sie letztlich aus ein und demselben Grund: Sie wollen Aufmerksamkeit. Sie wollen Liebe.«
    Howela stellte sich kurz vor, er hätte einen Sohn, der ihm den Wagen zertrümmern würde. Da wäre für Liebe nicht viel Platz.
    »Ich will Sie aber keineswegs mit pädagogischen Lehrmeinungen langweilen. Mir schien es jedenfalls, als wäre Niklas schon sehr früh an seinem Bedürfnis nach Liebe gescheitert. Damals war er auch in der Schule extrem schlecht. Er musste die dritte Klasse wiederholen, und es drohte ihm eine Einweisung in die Sonderschule. Ich habe dann eine Reihe von psychologischen Tests mit ihm gemacht, bei denen er recht gut abschnitt. Klar, hohes Aggressionspotential, niedrige Frustrationsschwelle, aber garantiert nicht dumm. Also haben wir einen IQ-Test gemacht. Wissen Sie, was dabei herauskam?«
    Howela schüttelte den Kopf.
    »Null! Er hatte einen IQ von null!« Carstens lachte wieder dröhnend.
    »Gibt’s das?«, fragte Howela überrascht.
    »Vielleicht, aber auch nur vielleicht – bei einer Amöbe.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Nun ja, Niklas hat den Test absichtlich manipuliert, also alle Fragen bewusst falsch beantwortet. Anders kann man eine glatte Null unmöglich schaffen. Und das wiederum bedeutet, dass er die richtigen Antworten kennen musste, um sie auszusortieren! Niklas war hochbegabt!«
    »Und wieso war er dann so schlecht in der Schule?«
    »Viele Hochbegabte langweilen sich im normalen Unterricht, weil sie unterfordert sind. Also hören sie nicht mehr zu und verlieren jedes Interesse daran. Bei Niklas kam noch diese Verweigerungshaltung dazu, die musste ich erst einmal verstehen und aufbrechen, bevor an eine Verbesserung der schulischen Leistungen zu denken war.«
    Carstens’ Blick schweifte von Howela ab zur offen stehenden Tür. Dort stand das Mädchen von der Treppe und lugte neugierig herein. »Komm ruhig rein, Marie. Ich habe was für dich.« Carstens lächelte sie freundlich an, zog eine Schreibtischschublade auf und zeigte Marie ein buntes Bändchen. »Das kannst du deiner Puppe in die Haare binden.«
    Dass Maries Puppe kaum noch Haare hatte, schien weder Rainer Carstens noch Marie selbst zu stören. Sie lief auf Carstens zu, nahm strahlend das Bändchen, warf noch einen schüchternen Blick zu Howela und verschwand wieder.
    »Die Mutter ist Alkoholikerin. Delirium tremens. Vater unbekannt. Wo waren wir stehen geblieben?«
    »Niklas war hochbegabt, aber ein Verweigerer.«
    »Genau. Es hat einige Jahre gedauert, bis ich einigermaßen zu ihm durchgedrungen bin. Hab selten ein so hartnäckiges Bürschchen erlebt. Ganz habe ich ihn nie geknackt, das weiß ich. Aber immerhin habe ich ihn aufs Gymnasium gepeitscht.«
    »Und da waren seine Leistungen besser?«
    »Zuerst hat er sich einfach so durchgeschlängelt. Als er vierzehn war und seine Versetzung wieder einmal auf der Kippe stand, habe ich einen zweiten IQ-Test mit ihm gemacht. Ich habe ihn herausgefordert. Wenn er wieder die blöde Null-Nummer bringen würde, habe ich ihm gesagt, würde ich ihn von der Schule nehmen und in eine Ausbildung zum Schreiner stecken. Und in eine neue Pflegschaft. Davor hatte er echten Horror. Er wollte sich nie wieder an eine Familie anpassen. Wir hingegen haben ihn weitestgehend in Ruhe gelassen. Außerdem habe ich ihm noch gesagt, dass ich ihm einen IQ von neunzig durchaus zutraue. Das war natürlich die reine Provokation. Aber er ist darauf eingestiegen. Hat’s mir so richtig gezeigt. Sein IQ lag bei 163.«
    »Wow!«
    »Ja. Wow! Da war selbst ich platt. Ich hatte

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