Puppenspiele
die französische Öffentlichkeit einschalten. Die Porträtzeichnung von der Stamminger muss in Frankreich an die Presse gehen. Kommissar Montaigne soll bitte auch Europol in Den Haag informieren.«
Sie riefen den Kellner und zahlten. Herd brach zu einem kleinen Spaziergang auf. Christian wollte sofort auf sein Zimmer. Er brauchte dringend Schlaf nach der unbequemen Nacht im Zug. Petra schloss sich ihm an. Der Tag war anstrengend genug gewesen, und der morgige würde vermutlich nicht besser werden. Nur Karen blieb noch. Am Tresen der Bar saßen einige vereinsamte Männer, die ihr unverhohlen Aufmerksamkeit schenkten. Einer davon gefiel Karen sogar, was selten vorkam. Sie war fertig mit ihrer Arbeit. Warum also sollte sie sich nicht noch ein wenig amüsieren?
Petra Rahnberg fand Karens Haltung pietätlos. Doch auf dem Weg zu den Zimmern erklärte Christian ihr, dass Karen noch mehr als sie alle tagtäglich mit Tod und Grauen konfrontiert wurde. Das war ihr Job. Irgendwann musste man abschalten. Einfach nur, um nicht verrückt zu werden.
»Okay, das verstehe ich«, sagte Petra. »Trotzdem finde ich diese Karen äußerst abgebrüht.«
Als sie aus dem Fahrstuhl traten, küsste sie ihn sanft auf den Mund und wünschte ihm, dass er gut abschalten könnte. Es war das erste Mal, dass sie ihn duzte. Doch bevor Christian sie fragen konnte, ob der fast beiläufig hingehauchte Kuss ein unmoralisches Angebot sei, verschwand sie in ihrem Zimmer. Christian überlegte kurz, ob er froh darüber war oder enttäuscht. Er entschied sich für entspannte Gleichgültigkeit. Kaum war er in seinem Zimmer, versuchte er Anna zu erreichen. Nur die Mailbox. Enttäuscht zog er sich aus und legte sich in das viel zu weiche Bett. Innerhalb von Sekunden war er eingeschlafen.
Der nächste Tag wurde wie erwartet anstrengend. Es war der letzte Augusttag des Jahres, und die Sonne schien noch einmal ihre ganze Kraft zu bündeln. Im Straßburger Präsidium wurden Sandrine Lacours fassungslose Eltern von Montaigne vernommen, ebenso noch einmal der Concierge, mehrere Kollegen Sandrines und der Kellner sowie andere mögliche Zeugen aus der Nachbarschaft des Kutscherhäuschens. Petra wollte bei der Aussage der Mutter dabei sein, doch Christian verwehrte ihr diese anmaßende Bitte. Also wandte sie sich an Montaigne. Freundlich, aber bestimmt erklärte er ihr, dass das absolut nicht infrage käme. Montaigne hatte keine Lust, ab sofort Monsieur und Madame Lacour während der Ermittlungen quasi auf seinem Schoß sitzen zu haben und ihnen erklären zu müssen, dass das nicht konveniere, auch wenn ein deutscher Kollege aus für ihn als Franzosen nachvollziehbaren, aber definitiv unprofessionellen Gründen die Mutter eines Opfers hinter sich her schleppe. Dabei sah er Christian missbilligend an. Petra gab auf und sah schließlich auch ein, dass es keinen Sinn machte, den ganzen Tag und womöglich noch die halbe Nacht im Hotel herumzuhängen, um auf vermutlich unergiebige Berichte zu warten. Sie nahm den nächsten Zug zurück nach Berlin. Karen war per Flugzeug über einen Shopping-Stopp in Paris unterwegs nach Hamburg. Sie hatten sie am Morgen nicht mal mehr zum Frühstück getroffen, sondern nur eine kurze Nachricht von ihr erhalten.
Christian wollte mit Herd in Straßburg ausharren. Nachdem die Eltern von Sandrine Lacour ihre Aussagen zu Protokoll gegeben hatten, sah allerdings auch Christian ein, dass seine Anwesenheit überflüssig, sogar hinderlich war. Er störte nur Herds Konzentration, indem er ihn andauernd flüsternd fragte, wovon eigentlich gesprochen wurde. Also setzte auch er sich am Nachmittag in einen Zug Richtung Heimat. Es war höchste Zeit, dass er nach Hause fuhr. Ein ausgiebiges Bad nehmen, Wäsche wechseln und endlich mal wieder im eigenen Bett schlafen.
Einige Stunden zuvor:
Düsseldorf.
Nach einem verregneten Wochenende und dem Durchzug kühler Meeresluft verabschiedete sich der August auch in Deutschland mit sommerlichen Temperaturen und einem strahlend blauen Himmel. Clarissa saß im Bademantel auf ihrer Terrasse und gestattete sich ein üppiges Frühstück mit Krabben, Wildlachs und frisch gepresstem Mangosaft. Sie hatte im Büro angerufen und all ihre Vormittagstermine verschieben lassen, denn sie erwartete jeden Moment Thomas Howela.
Er kam pünktlich, was Clarissa sehr schätzte. Sie schätzte ebenso, dass er sie weiterhin nicht duzte noch versuchte, sie auf die Wangen oder sonst wohin zu küssen, bloß weil sie zweimal
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