Puppenspiele
verabreicht, damit das Ausbluten schneller vonstattengeht. Spasmus der Gefäße und sympathomimetische Reaktion als automatischer Eigenschutz des Körpers gegen zu hohen Blutverlust oder kardiogenen Schock. Das Multiorganversagen führt dann zum Tod. Die eigentliche Todesursache in diesem Fall nennt man Volumenmangelschock. Ich erspare euch wie immer in meinem eigenen Interesse den Rest vom Fachchinesisch.«
»Vermutlich lag sie dabei in der Badewanne. Oder er hat zum Auffangen des Blutes die große Plastikplane benutzt, die die Spurensicherung säuberlich gereinigt und zusammengelegt im Bad gefunden hat«, ergänzte Herd.
Petra schob ihren Teller von sich. Sie hatte das Essen kaum angerührt und sah nicht aus, als würde sie noch einen Bissen herunterbekommen. »Hat die junge Frau gelitten?«
Karen schüttelte den Kopf: »Zumindest nicht unter großen körperlichen Schmerzen. Sie hat relativ früh das Bewusstsein verloren. Das Herz wurde post mortem entfernt wie bei den anderen beiden Opfern. Saubere Schnitte im geöffneten Brustkorb, schlampige Nähte.« Karen machte eine Pause und schob ebenfalls ihren Teller weg, der im Gegensatz zu Petras allerdings fast vollständig geleert war. Christian verblüffte immer wieder, wie schnell, viel und konzentriert Karen essen konnte, selbst wenn sie die ganze Zeit redete. »An die Stelle des Herzens hat er vorm Zunähen der Wunde einen alten rostigen Fahrrad-Dynamo gelegt. Finden wir das irgendwie witzig und originell?« Karen hatte nun alle Hemmungen vor Petra Rahnberg abgelegt.
»Nein, finden wir nicht. Und dich finde ich auch nicht witzig«, sagte Herd bitter. Sein Humor unterschied sich insofern von Karens, dass er keinen hatte, wenn es um Leichen ging. Bevor es zu einer der üblichen Kabbeleien zwischen den beiden kommen konnte, verkündete Herds Handy einen Nachrichteneingang. Herd las die SMS, rief nach dem Kellner und fragte ihn etwas.
Petra übersetzte für Christian: »Ihr Kollege will wissen, ob es hier einen Hotspot gibt, um sich ins Netz einzuklinken.«
»In der Bar«, verkündete Herd die Antwort des Kellners. »Ich habe eine Mail von Daniel. Er hat den Text des Tages gefunden, der auf dem Spiegel stand.«
Christian ließ die Rechnung auf sein Zimmer schreiben. Dann gingen sie gemeinsam zur Hotelbar und setzten sich in eine Nische auf ein plüschiges Ensemble aus blutrotem Velour. Herd nahm sein Laptop aus der Reisetasche und klappte es auf, während die Drinks bestellt wurden und Karen sich in der Bar umsah. Sie war gut besucht und schien auch von Einheimischen und nicht nur von Hotelgästen frequentiert zu werden. Herd rief seine Mail auf und drehte den Bildschirm so, dass auch die anderen Daniels Mail sehen konnten:
Hei, Leute, alles frisch bei den Franzacken? Schon Froschschenkel abgelutscht? Hab Euren Text gefunden, war ganz einfach. Ich schicke Euch eine zusätzliche Strophe, die mir wichtig vorkommt, den kompletten Songtext findet Ihr im Anhang. Die Zeilen stammen aus:
»Das Lied vom einsamen Mädchen«
(komponiert 1952 von Werner Richard Heyman,
Text: Robert Gilbert)
Weil sie einsam war
Und so blond ihr Haar …
Das kennt ihr ja, lag bei der Leiche. Dann kommt unter anderem noch diese nette Strophe:
Was blieb von ihrem Leben
Ein Lied, das niemand sang
Sankt Peter ließ sie warten
Zwei Ewigkeiten lang
Bekannt geworden ist dieses Lied vor allem durch Martin Lee Gore, was der Sänger von Depeche Mode war, Ihr Banausen. Wisst Ihr, dass der von 1985 bis 1987 mit seiner damaligen deutschen Freundin in Berlin gelebt hat? Er war zeitweilig dafür bekannt, Röcke und schwarzen Nagellack zu tragen, was nicht nur bei heterosexuellen Männern ganz schön für Wirbel sorgte. In einem Interview sagte Gore mal: »Sexuelle Barrieren und Geschlechterrollen sind altmodisch und out. […] Meine Freundin und ich tauschen oftmals die Klamotten oder das Make-up.«
Na, das passt doch schön zu Catrin Rahnbergs Zettel mit dem »dritten Geschlecht«, oder? Macht was draus,
Euer Daniel
Petra schlug plötzlich vehement mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass die daraufstehenden Gläser gefährlich hüpften und klirrten. »Was, verdammt noch mal, hat das alles mit meiner Tochter zu tun?«, schrie sie auf.
Die Gäste der Bar drehten sich nach dem deutschen Quartett um und starrten interessiert. Als nichts weiter passierte, setzten sie enttäuscht ihre eigenen Gespräche fort.
Christian wandte sich an Herd: »Wir sollten auch
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