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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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plötzlich sah er, was ihm schon die ganze Zeit vor Augen gestanden hatte und dennoch nicht in sein Bewusstsein gedrungen war. Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Wie konnte er nur so blind gewesen sein? Wieso hatten weder er noch einer seiner hoch qualifizierten Leute gesehen, was so offensichtlich war? »Anna, komm her! Schnell!«
    Anna kam mit einem Leberwurstbrot in der Hand.
    »Hier, sieh dir mal die Namen an, die unser Killer benutzt!«
    Anna las halblaut: »Thorsten Brinken, Frank Niklas Stein, Fréderic Rouge-Joue … Kein normaler Franzose heißt Rouge-Joue!«
    »Schön, dass mir das mal einer sagt! Aber ich meine etwas anderes. Sehr viele Leute haben zwei Vornamen. Aber benutzen tun sie meistens nur einen. Den Rufnamen. Und wenn sie Dokumente unterschreiben, kürzen die meisten Menschen den zweiten Vornamen ab. John F. Kennedy zum Beispiel. So, jetzt guck noch mal.«
    »Frank N. Stein.« Anna sah Christian überrascht an: »Du glaubst, das ist Absicht?«
    »Bei dem Typen ist alles Absicht. Jedes noch so kleine Detail ist eine Botschaft an sein Publikum. Uns.«
    Anna legte aufgeregt ihr Brot weg: »Du hast recht. Auch wenn es keine Absicht war, so ist es zumindest eine unterbewusste Botschaft. Frankenstein! Das passt zum Modus Operandi! Er stellt künstliche Menschen her! Frankensteins Monster! Deswegen sehen eure Leichen nach Puppen aus. Und deswegen schickt er sie zu nicht existierenden Horrorkabinetten oder Freakshows.«
    »Eben. Unterschied ist nur, dass Frankenstein Tote wiederbelebt hat. Der hier macht’s umgekehrt. Vielleicht liege ich falsch …«
    Anna nahm den Zettel zur Hand. »Was ist mit den anderen Namen? Thorsten Brinken, sagt dir das was?«
    »Nicht ansatzweise. Nur, dass Thor der nordische Donnergott ist.«
    »Und Beschützer von Midgard, der Welt der Menschen.«
    »Wie ein Beschützer kommt mir unser Killer aber ganz und gar nicht vor.«
    Anna grübelte. »Und wenn dein Frankenstein gar keine künstlichen Menschen herstellen, sondern seine Opfer lediglich als Monster enttarnen will?«
    »Das macht Sinn. Deswegen die öffentliche Zurschaustellung.« Christian spürte Jagdfieber aufsteigen. Er näherte sich dem Wild. Er konnte es fast riechen. »Was ist mit dem französischen Namen? Du hast gesagt, der wäre ungewöhnlich!«
    »Zumindest habe ich ihn noch nie gehört. Hat aber nix zu sagen, mein Französisch ist nicht sonderlich gut. Rouge heißt rot, und joue … Bin nicht ganz sicher, ich glaube …« Anna stand auf, ging zu ihrem Bücherregal und schlug in einem Wörterbuch nach. »Joue heißt Wange.«
    »Fréderic Rote Wange? Klingt nach einem erfundenen Indianernamen. Wie Schwarzer Büffel oder Crazy Horse … Kann ich nichts mit anfangen. Du?«
    Anna blickte Christian ernst an: »Hast du mal ›Metropolis‹ von Fritz Lang gesehen?«
    »Diesen Stummfilm aus den Zwanzigern? Vor dreißig Jahren vielleicht. Was meinst du?« Christian wusste, wie gut Anna sich mit Filmen auskannte. Wenn er sich an ruhigen Abenden mal etwas ansehen wollte, kannte Anna den Film meist schon und lobte, warnte oder verriss.
    »In ›Metropolis‹ gibt es diesen wahnsinnigen Wissenschaftler, der vor Jahren seine große Liebe Hel an seinen ehemals besten Freund Fredersen verloren hat. Hel ist bei der Geburt ihres Sohnes Freder gestorben. Und in einer Vermischung aus Liebe zu Hel und Rache an Fredersen baut dieser Wissenschaftler einen weiblichen Maschinenmenschen nach Hels Vorbild, der Fredersens Imperium und seinen Sohn zerstören soll. Der Wissenschaftler heißt Rotwang.«
    »Hat Daniel dir auch gemailt, dass unsere Leiche in Straßburg an der Stelle des entnommenen Herzens einen Fahrraddynamo eingesetzt bekam?«
    Anna wusste noch nichts davon. Aber ihr war genau wie Christian klar, dass sie endlich ein aussagekräftiges Täterprofil erstellen konnten, das weit über die üblichen »zwischen 20 und 35 Jahren alt, weiß, organisiert …« hinausging.
    »Wir müssen nach Berlin«, sagte Christian. »Volker ist da, Herd kann aus Straßburg dazukommen.«
    »Warum trefft ihr euch nicht hier in Hamburg?«
    »In Berlin haben wir einen Kollegen namens Striebeck, mit dem Volker den Münchner und Berliner Fall bearbeitet. Außerdem ist da Frau Professor Rahnberg, eine kluge Literaturwissenschaftlerin und die Mutter des Berliner Opfers. Sie könnte vielleicht ein paar Ideen zum Zusammenhang zwischen Frankenstein, Rotwang und ihrer Tochter beitragen. Und du kannst dich mit ihr über die Spiegel-Metapher

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