Puppentod
getrocknete Blätter und zündete diese mit einem Streichholz an. Sie begannen jedoch nicht zu
brennen, sondern qualmten nur und stanken abscheulich.
Nun schloss sie erneut die Augen und schwenkte die Kokosnussschale mit dem Stein durch die Luft. Dann nahm sie den Stein heraus, befestigte ihn mit einem Stück Draht in der Mitte der aus Palmblättern gebundenen Acht, legte Lisas linke Hand darauf und Michaels rechte darüber und murmelte monoton etwas vor sich hin. Als sie fertig war, gab sie Lisa die Acht mit dem Glasstein und nahm lächelnd die zehn Dollar entgegen, die Lisa ihr reichte.
Weil Michael den Zauberspuk nun für beendet hielt, wollte er aufstehen, doch die Alte griff abrupt nach seinem Arm und zog ihn zurück auf den Hocker. Fest krallten sich ihre knochigen Finger in seinen Unterarm, und sie fixierte ihn mit ihrem Blick, als wollte sie ihn hypnotisieren. Ein beklemmendes Gefühl überkam ihn. Er fand die Frau auf einmal unheimlich, und die Atmosphäre, die ihn eben noch an einen Wahrsagerstand auf einer Kirmes erinnert hatte, war jetzt merkwürdig gespenstisch.
Die Alte war plötzlich von einer geisterhaften Aura umgeben und so abwesend, als säße nur noch die Hülle ihres Körpers da. Ihre Augen verdrehten sich, sodass kaum noch die Pupillen zu sehen waren, und sie begann, für einen Moment heftig zu vibrieren, bis ein Ruck durch sie hindurchging und wieder Leben in sie zu kommen schien. Dann umklammerten ihre Hände heftig Lisas Gesicht, und sie zog sie an sich heran. Sie griff nach dem Kreuz an Lisas Kette, küsste es inbrünstig und murmelte beschwörende Worte.
Bleich wie eine Kalkwand saß Lisa vor ihr, zitterte wie Espenlaub und schien kaum noch Luft zu bekommen.
Michael hatte genug. Er stand auf und griff nach Lisas Hand. »Ich denke, wir sollten jetzt gehen«, sagte er energisch.
Lisa aber rührte sich nicht von der Stelle, sondern sah fragend die Alte an. Und erst als die ihr zunickte, erhob sie sich und folgte ihm.
Während sie schweigend die Straße hinaufgingen, legte Michael beschützend den Arm um Lisa. Sie schien Mühe zu haben, sich zu beruhigen. Was hatte die Alte ihr erzählt?
Er fragte Lisa danach, und sie sagte: »Juanita ist eine Voodoo-Priesterin. Sie hält den Geist der Toten am Leben.«
Das war zwar keine Antwort auf seine Frage, dennoch lief es ihm eiskalt den Rücken herunter. Sein Entsetzen zauberte ein Lächeln in ihr Gesicht. »Keine Angst. Das Ganze war nur ein harmloser Liebeszauber.«
Er lachte kurz auf. Harmlos war ihm das jedenfalls nicht vorgekommen.
»In welcher Sprache hast du dich mit dieser Frau unterhalten?«, wollte er wissen.
»Kreolisch«, antwortete sie.
»Woher kannst du das?«
Sie winkte ab. »Das lernt man schnell, wenn man hier lebt.«
Er glaubte ihr nicht, doch als er nachhaken wollte, geschah etwas sehr Eigenartiges. Mehrere Polizisten tauchten plötzlich in der Straße auf und wiesen die Schneiderinnen
an, ihre Sachen zusammenzupacken. Als Michael einen Blick zurückwarf, sah er, dass auch die Voodoo-Priesterin und ihre drei Gehilfinnen unter Polizeiaufsicht einräumten.
In der nächsten Straße, dort, wo die T-Shirts verkauft wurden, spielte sich genau das Gleiche ab, nur war das Polizeiaufgebot hier viel größer. Gruppen von Menschen verließen unter Aufsicht der Staatsgewalt den Markt.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Michael.
Lisa zog ihn eilig durch die engen, schmutzigen Gassen in Richtung Jeep.
»Wir sind an der Grenze zu Haiti«, erklärte sie ihm. »Auf diesen Markt kommen viele Haitianer. Sie verkaufen hier ihre Waren und verdienen sich ein wenig Geld. Doch die Polizei achtet streng darauf, dass niemand von ihnen bleibt. Sie sind sehr arm, deshalb will man sie hier nicht haben, und am Abend werden sie wieder zurückgebracht.«
Verdutzt sah Michael Lisa an, nachdem sie in den Wagen gestiegen waren. »Willst du mir erzählen, dass die Polizei diese Menschen persönlich auf der anderen Seite der Grenze wieder abliefert?«
Sie nickte und startete den Jeep. »Genauso ist es, und du wirst dich gleich davon überzeugen können, wie ernst sie es damit meinen.«
Sie fuhren auf die Hauptstraße und steckten sofort in einem dicken Stau. Der hatte sich gebildet, weil jeder, der die Stadt verlassen wollte, von der Polizei angehalten und kontrolliert wurde. Jedes einzelne Auto wurde
überprüft, damit kein Haitianer den Markttag dazu benutzte, illegal in die Dominikanische Republik einzuwandern. Auch Lisa und Michael mussten
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