Puppentod
lehnte sie entschieden ab, und als er trotzdem die Hand danach ausstreckte, verrutschte das Tuch. Eine Flasche Mamajuana -Schnaps und eine Kiste kubanischer Zigarren kamen
zum Vorschein. Rasch deckte Lisa die Sachen wieder zu und bestand darauf, den Korb selbst zu tragen.
Was den Markt anbetraf, hatte sie nicht zu viel versprochen. Er war riesig und erstreckte sich über viele Straßen. Marktstände schienen für die meisten Händler allerdings ein unerschwinglicher Luxus zu sein, denn die angebotenen Waren, meist Berge voller Gemüse, lagen auf großflächigen Plastikfolien direkt auf der Straße. Um sie vor der Sonne zu schützen, waren in regelmäßigen Abständen und in ungefähr zwei Meter Höhe große, blaue Tücher gespannt; ein blaues Dach, das alles in ein unwirkliches Licht tauchte. Alles erschien zart bläulich - von der Kartoffel bis zu den Kochbananen und sogar die Leinensäcke, aus denen Salz, Mehl und Bohnen verkauft wurden. Als Maßeinheit hierfür diente eine einfache Blechdose.
Not macht erfinderisch, dachte Michael und blieb stehen, um die Händler bei der Arbeit zu beobachten. Doch Lisa zog ihn sofort weiter. Sie wollte keine Zeit verlieren, das hatte er inzwischen verstanden. Und ihm war auch klar, dass dieser Markt sie nicht im Geringsten interessierte.
Nachdem sie die Gemüseverkäufer hinter sich gelassen hatten, kamen sie in eine Straße, in der Kleidung verkauft wurde - T-Shirts, Baumwollhosen, Sonnenhüte und auch Unterwäsche, die zwar nicht sexy, aber auch nicht teuer war.
Jetzt wurde Lisa langsamer und ließ irritiert ihren Blick umherschweifen. Der - oder die - Gesuchte schien nicht da zu sein. Hilflos sah sie sich um. Dann fragte sie
einen Händler nach Juanita. Der Mann zuckte ratlos mit den Schultern. Erst als Lisa das Wort Mambo erwähnte, bekam er einen fast ehrfürchtigen Gesichtsausdruck und erklärte ihr den Weg.
Sie mussten noch ein Stück geradeaus gehen und an der nächsten Kreuzung nach links. Dies schien die Straße der Schneiderinnen zu sein. Eine Frau arbeitete an einer uralten Nähmaschine, während eine andere einer Kundin ein Kleid absteckte und wiederum eine andere auf einem Klapptisch ein Stück Stoff zurechtschnitt. Wieder fragte Lisa nach der Mambo , und auch hier zeichnete sich sofort Ehrfurcht in den Gesichtern der Frauen ab.
»Wen suchen wir eigentlich?«, fragte Michael, nachdem sie weitergegangen waren.
»Eine Priesterin«, antwortete Lisa. »Eine Mambo! Das ist eine sehr mächtige Frau.«
Sie fanden sie vor einer weißen Holzhütte auf einem niedrigen Plastikhocker sitzend, unter einem blau-weiß karierten Sonnenschirm. Eine alte, hagere Frau mit dunkler, gegerbter Haut und tiefen Falten im Gesicht. Sie war umgeben von Körben mit getrockneten Blättern und Kräutern und kleinen Schüsseln mit bunten Glassteinen.
Lisa begrüßte die Priesterin, indem sie vor ihr niederkniete und ihr einen Kuss auf die knochige Hand hauchte. Die Alte nickte ihr lächelnd zu und hob kurz die andere Hand, woraufhin drei Frauen aus der Holzhütte kamen und zwei Miniplastikhocker brachten, damit Lisa und Michael sich setzen konnten. Sie klappten
hinter ihnen eine spanische Wand aus, die vor neugierigen Blicken schützen sollte, und zündeten allerlei Kerzen und Räucherstäbchen um die Alte herum an. Danach verschwanden sie so wortlos, wie sie gekommen waren.
Stocksteif saß die Priesterin inmitten dieses Qualms da und nahm mit wohlwollendem Kopfnicken den Korb zur Kenntnis, den Lisa ihr zuschob. Dann lauschte sie aufmerksam Lisas Worten - in einer fremden Sprache, die Michael noch nie gehört hatte. Statt dabei aber Lisa anzuschauen, starrte die Alte mit ihren dunklen Knopfaugen Michael an. Das war ihm sehr unangenehm, und er hatte das Gefühl, ihr Blick bohre sich in das Innere seiner Seele. Wer war diese Frau? Eine Wahrsagerin?
Die Alte zog aus einem der Körbe ein paar getrocknete Palmblätter heraus, rollte diese mit flinken, geschickten Fingern zusammen, umband sie mit einem Garn und formte daraus ein Gebilde, das aussah wie eine Acht.
»Was tut sie da?«, fragte Michael leise.
Erschrocken legte Lisa den Finger auf ihre Lippen und gab ihm zu verstehen, dass er nicht reden sollte.
Inzwischen wühlte die Alte blind in einer Schüssel mit bunten Glassteinen und tastete einige Steine so lange ab, bis sie sich für einen bestimmten entschieden hatte. Nun öffnete sie wieder die Augen und legte den Stein in die ausgehöhlte Schale einer Kokosnuss. Dazu gab sie einige
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