Puppentod
dem Bett aufstand. Sie schlang sich ein Handtuch um ihren nackten Körper und schlich nach unten, hinaus auf die Veranda.
Es war eine milde Nacht. Das helle Mondlicht floss kegelförmig über das Meer in den Horizont hinein, und die Sterne spiegelten sich auf der ruhigen Wasseroberfläche.
Damit das Bambusdach ihr nicht den Blick in den Himmel versperrte, schob sie leise einen der Korbsessel nach vorn und setzte sich hinein. Sie zog die Beine an, legte den Kopf auf die Knie und begann zu träumen - davon, dass Michael nicht der Sohn von Rudolf Westphal wäre und sie sich in ihn verlieben könnte.
Sofort aber erschrak sie über diesen Gedanken. War sie wahnsinnig geworden? Nur weil sie mit ihm geschlafen und dabei jede Minute genossen hatte, durfte sie nicht gleich den Kopf verlieren. Es war aus einer Laune heraus passiert. Aus keinem anderen Grund. Sie hatte keine Gefühle für ihn. Und sie wollte auch keine für ihn haben. Sie verfolgte nur einen Plan. Sonst nichts.
Natürlich hatten seine Berührungen sie erregt und seine Zärtlichkeiten sie glücklich gemacht. Schließlich war er ein gut aussehender, liebevoller Mann. Sie war in seinen Armen schwach geworden. Das wäre jeder Frau passiert. Doch jetzt musste sie sich wieder unter Kontrolle haben.
Für Michael etwas zu empfinden konnte alles gefährden. Wer liebt, macht Fehler - das hatte Yoshitoki sie gelehrt. Ihren Krieg gewann sie nicht mit dem Herzen. Es war unmöglich, mit einem Mann glücklich zu werden, der Rudolf Westphals Sohn war. Das hieße, die Vergangenheit zu vergessen. Doch dazu waren die Ereignisse viel zu tief in ihr Inneres gebrannt.
Sie durfte sich nicht in Michael verlieben. Davor hatte auch Juanita gewarnt. Die Rache der Toten stand über allem. Juanita hatte die Geister gespürt und die Stimmen gehört. Sie waren da gewesen, heute Nachmittag, auf dem Markt in Dajabón. Sie hatten ihr durch Juanita ein Zeichen gegeben. Sie war auf dem richtigen Weg.
Deshalb war es gefährlich, Gefühle für Michael zu entwickeln. Ihre Liebe hatte keine Chance. Da konnte Juanita noch so viele Rituale vollziehen und Quangas anfertigen. Es gab keinen Zauber, der stark genug war, diese Liebe überleben zu lassen. Das wusste Lisa. Das sagte ihr der Verstand, obwohl in ihrer kreolischen Seele der Glaube an den Zauber tief verwurzelt war. Im Voodoo hieß es, dass niemand die Wirkung eines Quanga außer Kraft setzen konnte. Doch das traf auf sie und Michael nicht zu, denn ihre Liebe war nichts anderes als reine
Illusion. Allein schon deshalb, weil er eine Frau liebte, die es eigentlich gar nicht gab. Und die würde er morgen sogar heiraten.
14
Die Trauung fand wie vereinbart nach Sonnenuntergang statt, in einer kleinen, mit Fackeln beleuchteten Bucht.
Michael trug einen weißen Leinenanzug und Lisa ein weißes, langes Leinenkleid, dazu Flip-Flops mit glitzernden Steinchen, und in ihrem Haar steckten rote Blüten. Sie hatte auch einen kleinen Brautstrauß in der Hand. Es war alles so wie bei einer richtigen Hochzeit, dachte Michael. Nur die Gäste fehlten - und vor allem fehlten ihm seine Eltern. Die vermisste er in diesem Augenblick schon sehr. Aber wenigstens waren zwei Trauzeugen anwesend, die er inzwischen sehr gern mochte, Margerita und ihr Sohn Julio.
Margerita trug zur Feier des Tages ein glitzerndes Tuch über den Schultern, und Julio hatte seinen Strohhut abnehmen müssen. Er fand Hochzeiten uncool und verriet Michael, dass er auf keinen Fall heiraten werde.
Michael hingegen wollte das sehr gern - und am liebsten noch heute, so wie es geplant war. Aber der Pfarrer war noch nicht gekommen. Nervös sah Michael auf seine Armbanduhr. Der Pfarrer hätte schon vor einer Viertelstunde da sein sollen. Doch in der Karibik nahm man es mit der Pünktlichkeit nicht so genau.
Es dauerte noch einmal fünfzehn Minuten, bis der Pfarrer endlich auf einem Mofa angetuckert kam. Den Übersetzer brachte er mit. Er hieß Pietro, arbeitete in einer Autovermietung und hatte kaum noch einen Zahn im Mund.
Der Pfarrer stellte sich als Pater Domenico vor, und Michael fiel auf, dass er barfuß war. In diesem Land schien man auf solche Dinge wenig Wert zu legen, Hauptsache, man war glücklich.
Margerita hatte eine Schachtel aus Bananenblättern mitgebracht und bat Michael nun, die Ringe dort hineinzulegen. Dann begann die Zeremonie.
Musik gab es keine, was Michael sehr bedauerte, denn dadurch war die Atmosphäre nicht sehr feierlich. Nicht einmal Julio hatte seine Gitarre
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