Puppentod
so etwas nie wieder«, flüsterte er.
»Ich verspreche es dir«, hauchte sie an sein Ohr.
Ihr schien ein Stein vom Herzen zu fallen, denn ihre Gesichtszüge entspannten sich zusehends. Danach befreite sie sich aus seiner Umarmung und zauberte aus ihrer Leinentasche ein in buntes Papier gewickeltes Geschenk. »Ich habe dir etwas mitgebracht«, rief sie fröhlich.
Überrascht nahm er das Geschenk entgegen und versuchte, den Inhalt zu ertasten. Er fühlte einen Bilderrahmen, tat aber so, als könne er absolut nichts erraten. Darüber freute sich Lisa wie ein Kind.
Als er das Päckchen aufriss, kam tatsächlich ein eingerahmtes Foto zum Vorschein. Das kleine Boot mit den Blumen und Glücksbringern war darauf zu sehen, das sie in der Hochzeitsnacht hinaus aufs Meer geschickt hatten.
»Ich habe gar nicht bemerkt, dass es jemand fotografiert hat«, sagte Michael.
Fragend legte Lisa ihre Stirn in Falten. »Lag das am Mamajuana oder an den Cocktails? Flavio hat den ganzen Abend lang fotografiert. Aber wer mit hübschen Mädchen Salsa tanzt, dem kann so etwas schon einmal entgehen.«
Sie war eifersüchtig, stellte Michael zufrieden fest, während er einen passenden Platz für das Bild suchte. Er beschloss, es auf seinen Schreibtisch zu stellen.
Dann schaltete er den Computer aus und fragte: »Möchtest du noch etwas essen gehen oder gleich nach Hause fahren?«
»Am liebsten nach Hause«, antwortete sie. »Aber vorher könntest du mir die Firma zeigen. Was hältst du davon?«
»Jetzt?« Erstaunt sah er sie an.
»Warum nicht?«, fragte sie. »Jetzt stören wir niemanden.«
Damit hatte sie natürlich recht, aber für einen richtigen Firmenrundgang war es trotzdem zu spät. Da Lisa sich aber nicht für die Produktion, sondern nur für das moderne Bürogebäude interessierte, willigte Michael letztendlich ein.
Er begann den Rundgang in MediCares Heiligtum, dort, wo die Fäden zusammenliefen und die großen Entscheidungen getroffen wurden: im Büro seines Vaters. Dieser großzügige Raum war ein Chefbüro durch und durch - die Möbel aus edlem Kirschholz, der wuchtige Schreibtisch auf Hochglanz poliert, der protzige Chefsessel mit dunkelgrünem Leder bezogen. An der Wand hing ein riesiges Porträt von Michaels Großvater. Es zeigte ihn als Mann in den besten Jahren, groß, schlank und sportlich, das haselnussbraune Haar an der Seite gescheitelt und das kantige Gesicht von einem gutmütigen Lächeln überzogen.
»Du kommst nach ihm«, sagte Lisa, während sie das Bild betrachtete.
»Das sagen alle«, stimmte Michael lachend zu.
»Wann hat dein Großvater die Firma gegründet?«, fragte sie.
»1956«, sagte Michael. »Wie ich dir schon erzählt habe, hieß sie damals Westphal-Pharmazeutika und war ein kleines Pharmaunternehmen. Mein Großvater war nie ein richtiger Geschäftsmann gewesen. Er war Mediziner, wollte forschen und neue Medikamente entwickeln. Leider
blieb das Geldverdienen dabei auf der Strecke, und ohne meinen Vater gäbe es die Firma heute sicher nicht mehr. Als er Geschäftsführer wurde, stand sie kurz vor der Pleite, aber er hat das Steuer herumgerissen und aus der kleinen, unbedeutenden Westphal-Pharmazeutika innerhalb kürzester Zeit das international tätige Unternehmen MediCare gemacht. Das war eine Glanzleistung, das muss man ihm lassen, auch wenn das nicht im Sinne meines Großvaters gewesen wäre.«
»Wieso?«
»Weil wir nicht mehr forschen und nichts Neues mehr entwickeln, sondern nur auf bereits existierende Wirkstoffe und Medikamente zurückgreifen. Wir bauen Medikamente nach, jedoch einfacher, unkomplizierter und deshalb um vieles kostengünstiger als die Originale. Darin besteht unser weltweiter Erfolg.«
»Aha«, sagte Lisa, während er mit ihr das Büro verließ. Er zeigte ihr den großen Konferenzraum und die Büros der Marketingabteilung und fuhr danach mit ihr hinunter ins Erdgeschoss. Dort schlug das Herz der Firma MediCare, wie sein Vater so schön sagte, denn dort befand sich das Labor.
Sie gingen über den langen Flur, und Lisa wollte wissen, was sich hinter all den Türen rechts und links verbarg.
»Teilweise sind es Lagerräume für Dinge, die im Labor benötigt werden«, erklärte ihr Michael, »oder Umkleideräume für die Mitarbeiter. Da drüben sind die Toiletten und dort vorn die Ruhe- und Schlafräume für den Sicherheitsdienst.«
»Wird die Firma auch nachts bewacht?«
»Rund um die Uhr. Und alle drei Stunden wird ein Kontrollgang durch das gesamte Gebäude
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