Puppentod
oder? Überleg’s dir mal. Ist’ne tolle Gegend hier. Super-Ausblick, keine direkten Nachbarn. Und ich mach’nen echt guten Preis.«
Michael schüttelte den Kopf. Dieses Angebot war verlockend, aber was sollte er mit einem Haus in der Karibik? Zeit zum Urlaubmachen hatte er kaum. Somit war das Thema für ihn schnell abgehakt, doch bei der Erwähnung des Wortes Nachbar kam ihm eine Idee. Da er immer noch nicht herausgefunden hatte, wer in dem imposanten Haus hinter der videoüberwachten Mauer wohnte, fragte er James Perlman danach.
»Keine Ahnung«, erwiderte Perlman achselzuckend. »Ich hab mal gehört, dass da ein stinkreicher Japaner lebt. Soll aus einer alten Samurai-Familie stammen und mit dem Schwert die Familienehre verteidigt haben. Deshalb
musste er Japan verlassen, so hat man es mir zumindest erzählt. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Es wird ja viel geredet.«
James Perlman gab Michael seine Visitenkarte und stieg in sein silberfarbenes Spielzeug. Er ließ den Motor aufheulen und rauschte davon, während Michaels Fantasie Purzelbäume schlug. Was dieser Perlman ihm gerade erzählt hatte, eignete sich perfekt für einen neuen Roman.
Er ging zurück auf die Veranda, nahm sein Notizbuch zur Hand, das griffbereit neben dem Laptop lag, und begann, die Geschichte aufzuschreiben. Hier leben anscheinend viele Japaner, schoss es ihm durch den Kopf. Er dachte an Herrn Yoshitoki. Ein schmächtiger, kleiner Mann. Schüchtern, aber keineswegs unsympathisch, und mit Sicherheit sehr intelligent. Sein Englisch jedenfalls war einwandfrei, als hätte er in Oxford studiert. Kurzerhand machte Michael Yoshitoki zum Helden der Story - zum Oberhaupt einer reichen japanischen Dynastie, einer alten Samurai-Familie, deren Macht und Einfluss durch aufstrebende Großindustrielle in Gefahr geraten war und verteidigt werden musste. Familienfehden im Zeitalter der Hochtechnologie. Das fesselte ihn, und er entwickelte die Idee immer weiter, bis sein Laptop ihn unsanft in die Realität zurückholte.
Sie haben eine E-Mail , verkündete die monotone Computerstimme. Schwer seufzend öffnete er die Nachricht. Sie kam von Frau Meierhöfer und verdeutlichte ihm, dass der Urlaub vorbei war. Dabei wäre er gerne noch geblieben. Verträumt blinzelte er in den türkisfarbenen
Himmel. Diese Farbe hatte er tatsächlich noch nie zuvor gesehen.
Lisa und Michael hatten den Jeep vor der Autovermietung am Flughafen geparkt und stellten gerade die Koffer auf einen Gepäckwagen, als hinter ihnen das tuckernde Geräusch eines Mopeds ertönte. Jemand rief Lisas Namen. Erstaunt drehten sie sich um. Es war Julio. Er wirkte sehr aufgeregt und schien heilfroh zu sein, Lisa nicht verpasst zu haben. Es musste etwas vorgefallen sein. Etwas ziemlich Ernstes sogar, denn Lisa wurde ganz blass, während Julio aufgelöst erzählte.
»Was ist los?«, fragte Michael.
»Margerita ist zusammengebrochen«, sagte sie. »Flavio hat sie ins Krankenhaus gefahren. Die Ärzte haben gesagt, es sei etwas mit dem Herzen. Aber sie wollen sie nicht behandeln, weil sie keine Kreditkarte hat und das Bargeld nicht reicht.«
»Um Himmels willen, da müssen wir etwas tun«, sagte Michael entsetzt und begann bereits, die Hilfsaktion zu planen. Sie mussten sofort in das Krankenhaus fahren, dort konnte er die anfallenden Kosten mit seiner Karte bezahlen. Für ihren Flug war es dann zu spät, doch das war in diesem Fall gleichgültig.
»Die Koffer zurück in den Jeep«, ordnete er an und rief entschlossen: »Wir fahren ins Krankenhaus.«
Erschrocken sah Lisa ihn an. »Dann verpassen wir aber den Flug. Dein Vater erwartet dich morgen zu einem wichtigen Meeting. Erinnere dich an die E-Mail von Frau Meierhöfer.«
»Es wird genauso gut ohne mich stattfinden«, sagte er, verwundert darüber, dass ausgerechnet Lisa in diesem Moment daran dachte. »Wir können doch nicht nach Hause fliegen und Margerita ihrem Schicksal überlassen.«
»Das werden wir auch nicht«, erwiderte Lisa. »Ich werde mich darum kümmern. Du wirst nach Hause fliegen und morgen früh pünktlich zu deinem Meeting erscheinen.«
Michael glaubte, sich verhört zu haben.
»Wir bleiben hier«, sagte er, »und jetzt genug der Diskussion. Wenn Margerita wirklich etwas am Herzen hat, zählt vielleicht jede Minute.«
Lisa küsste ihn auf die Wange. »Das ist furchtbar lieb von dir, aber du wirst trotzdem fliegen und deinen Vater nicht verärgern. Ich werde mich um alles kümmern und mit der nächsten Maschine
Weitere Kostenlose Bücher