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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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hat er nachgeschaut.«
    »Ach so.« Lisa trank den Tee aus und wechselte dann die Sofaseite, damit sie ihren Kopf auf Michaels Schoß legen und die Beine ausstrecken konnte.
    »Ich bin so müde«, murmelte sie, während ihr bereits die Augen zufielen.
    Um es ihr bequemer zu machen, hob er ihren Kopf an, schob ein Kissen darunter und deckte sie mit einer Wolldecke zu. Dann beugte er sich zu ihr herab, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und flüsterte: »Ich liebe dich.« Doch Lisa war bereits tief und fest eingeschlafen.

17
    Sie wusste nicht, wie lange sie schon hinter der Gardine stand. Sie wusste nur, dass sie panische Angst hatte und kaum zu atmen wagte.
    War sie allein im Haus? Es war so still. Erschreckend still. Und so dunkel. Selbst am nächtlichen Himmel, den sie durch das Fenster sehen konnte, leuchtete nicht ein
einziger Stern, und auch der Mond war verschwunden. Bestimmt hatte er genauso viel Angst wie sie und sich hinter den Tannenbäumen versteckt. Oder hinter den Wolken verkrochen. Warum sollte der Mond keine Angst haben?
    Sie drückte die Puppe fest an sich und schluckte die Tränen herunter. Große Mädchen weinen nicht.
    Wenn sie nur wüsste, wo ihre Mama war! Sie hatte ihr doch versprochen, sie niemals allein zu lassen. Aber jetzt war sie allein. Ganz allein. War wirklich niemand da? War niemand in diesem Haus?
    Sie bekam keine Luft mehr hinter dem schweren Samtvorhang und glaubte zu ersticken. Sollte sie es wagen, ihr Versteck zu verlassen? Ihr Herz schlug bis in den Hals hinein, als sie zitternd die Gardine ein Stück zur Seite schob.
    Das Zimmer war dunkel, nur vom Treppenhaus fiel ein roter Lichtschein herein. Woher kam das rote Licht? Es hatte hier bisher kein rotes Licht gegeben.
    Ein lautes Poltern drang durch das Haus. Erschrocken ließ sie die Gardine zurückfallen und presste sich wieder an die Wand. Nicht atmen. Bloß nicht atmen. Sie krallte die Finger in die Zöpfe der Puppe.
    Dann hörte sie Schritte - schwere, kraftvolle Schritte auf den Holzdielen -, die langsam näher kamen. Direkt auf sie zu. Doch kurz vor dem Vorhang verstummten sie.
    Ein Mann stand im Zimmer. Ein fremder Mann, glaubte sie, obwohl sie ihn nicht sehen konnte. Sie hatte seine Stimme noch nie zuvor gehört. Er sprach mit jemandem. Also war noch jemand im Haus.

    Wieso verstand sie nicht, was gesagt wurde? Die Worte waren so undeutlich, so verzerrt …
    An dieser Stelle riss der Traum abrupt ab, und Lisa wachte schweißgebadet auf. Ihr Herz raste, sie rang nach Luft.
    Wo war sie?
    Sie machte das Licht an. Es war alles in Ordnung. Neben ihr lag Michael und lächelte im Schlaf.
    Mit der Hand wischte sie sich die Schweißperlen von der Stirn. Danach löschte sie das Licht und starrte in die Dunkelheit. Sie versuchte, sich an den Traum zu erinnern - versuchte, ihn zurückzuholen, um ihn zu Ende zu träumen. Doch er hatte sich verflüchtigt. In Luft aufgelöst.
    Trotzdem war ihr eines klar: Sie hatte damals, als sie hinter dem Vorhang stand, genau verstanden, was im Raum gesagt wurde. Irgendwo in ihrer Seele waren die Worte abgespeichert und würden so lange in den Tiefen ihres Unterbewusstseins vergraben bleiben, bis die Träume sie zurückholten.
    Die Stimmen der Vergangenheit schwiegen nicht länger. Das hatte auch Juanita prophezeit.
    Lisa sah die Augen der Puppe vor sich. Große, blaue Kulleraugen. Sie hatte ihrer jüngeren Schwester gehört. In Gedanken gab sie der Kleinen einen Kuss.
    Schlaf schön, du süße Maus … Und dir, Mama, verspreche ich, dass ich nicht weinen werde!

18
    Michael war eigentlich schon wach, schlummerte aber noch träge vor sich hin und wartete darauf, dass der Radiowecker sich einschaltete, als er plötzlich diesen Schrei hörte. Erschrocken schnellte er hoch.
    Der Schrei war aus dem Garten gekommen.
    In diesem Augenblick schrie jemand ein zweites Mal, so hysterisch, dass es ihm durch Mark und Bein ging.
    Er sprang aus dem Bett, war mit einem Satz am Fenster und sah seine Mutter in der Nähe des Bootshauses im Gras knien.
    Um Himmels willen, was war passiert?
    Er raste aus dem Zimmer, hastete die Treppe hinunter und durch die offen stehende Terrassentür hinaus in den Garten.
    War seine Mutter gestürzt? Womöglich verletzt?
    Als er jedoch näher kam, sah er Yakko neben ihr liegen - bewegungslos, alle Gliedmaßen von sich gestreckt und mit weißem Schaum vor der Schnauze.
    Schockiert starrte er auf den Hund, während seine Mutter fürchterlich weinte. Auch sein Vater kam angelaufen, noch im

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