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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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Kopf auf, um einen Freund zu besuchen? Ohne in der Firma Bescheid zu geben?«
    »Der Freund hatte einen schweren Autounfall«, wandte Michael ein.
    Sie zog zweifelnd ihre Stirn in Falten.
    Daraufhin sagte er: »Du hast ja recht. Ich finde diese Angelegenheit auch ziemlich eigenartig. Aber was soll ich tun? Zumal seine Mutter uns inzwischen informiert hat.«
    »Man kann immer etwas tun«, erwiderte Lisa und fügte leise und eindringlich hinzu: »Wegschauen ist nie der richtige Weg. Also schau nicht immer weg, Michael.« Dann verschwand sie im Bad. Verblüfft sah er ihr nach.

4
    Lisa hörte das Klavierspiel schon, bevor sie das weiße Einfamilienhaus erreichte. Es kam aus einem offen stehenden Giebelfenster. Die Musik war sehr düster, die Töne klangen dunkel und kraftvoll. Trotzdem klang es sehr schön. Es gefiel ihr, und sie wäre am liebsten stehen geblieben, um weiter zuzuhören. Nur, dafür war sie nicht hierhergekommen.
    Sie stieß das kleine Tor auf und ging durch den Vorgarten. Dort blühten Blumen in zarten Frühlingsfarben
und dichte Forsythiensträucher in leuchtend hellem Gelb. Das weiße Haus und sein gepflegter Garten täuschten eine Idylle vor, die es hinter dieser Fassade nicht geben konnte.
    Sie klingelte. Wie immer wurde ihr nicht aufgemacht. Aber Ilona Berger kam auch nicht an die Tür, um sie wegzuschicken. Deshalb ging Lisa davon aus, dass sie das Klingeln nicht gehört hatte. Sie sah zu dem offenen Fenster hinauf. Das Klavierspiel war inzwischen verstummt, und so klingelte sie noch einmal. Statt Frau Berger an der Tür erschien der Kopf der Tochter an dem offenen Giebelfenster.
    »Hallo, Anja«, rief Lisa ihr zu. »Ist deine Mama zu Hause?«
    »Ja, das ist sie«, rief das Mädchen zurück und stellte fest: »Sie sind doch die Frau, die mir neulich über die Straße geholfen hat, nicht wahr?«
    Lisa war erstaunt, dass Anja sie erkannt hatte.
    »Genau die bin ich«, sagte sie und fragte: »Hast du eben so schön Klavier gespielt?«
    Ein stolzes Lächeln überzog Anjas Gesicht. »Hat es Ihnen gefallen?«
    »Es war wunderschön«, sagte Lisa ehrlich. »Was für ein Stück war das?«
    »Der Mephisto-Walzer - mögen Sie ihn?«
    »Ich habe noch nie davon gehört.«
    »Es ist eines meiner Lieblingsstücke«, erzählte Anja. »Ich beherrsche ihn schon ganz gut. Nur manche Passagen muss ich noch üben. Aber eines Tages werde ich ihn in einer großen Halle, vor ganz vielen Menschen spielen.
Ich will nämlich Pianistin werden und deshalb an die Musikhochschule gehen. Klingeln Sie doch noch mal! Mama ist bestimmt im Garten.«
    Gerade als Lisa das tun wollte, sah sie plötzlich einen Wagen auf das Haus zufahren und schräg gegenüber einparken.
    Erschrocken zog sie ihre Jacke über den Kopf, sprang mit einem Satz über die Blumen und flüchtete in die Forsythiensträucher.
    Von dort aus hörte sie Anja rufen: »Hallo, sind Sie noch da?«
    »Meinst du mich?«, fragte Michael verdutzt, der inzwischen ausgestiegen war und vor dem Gartentor stand.
    »Wo ist denn die Frau?«, fragte das Mädchen irritiert.
    »Hier ist keine Frau«, antwortete er.
    »Aber eben war sie doch noch da.«
    Er drehte sich nach allen Seiten um. »Nein, ich sehe niemanden. Bist du Anja Berger?«
    »Ja.«
    »Ich würde gern deine Mama sprechen. Ist sie zu Hause?«
    »Ich sage ihr Bescheid«, entgegnete Anja, noch immer sehr verwundert, und verschwand vom Fenster.

5
    »Sind Sie Ilona Berger?«, fragte Michael die Frau mit den wasserblauen, traurigen Augen, die ihm die Tür geöffnet hatte.
    Sie nickte.
    Daraufhin stellte er sich vor und sagte: »Ich wollte gern ein paar Minuten mit Ihnen sprechen. Wäre das möglich?«
    Misstrauisch sah sie ihn an.
    »Es wird wirklich nicht lange dauern«, fügte er hinzu.
    »Worüber wollen Sie denn mit mir sprechen?«, fragte sie leise. Ihre Stimme klang sehr zart, beinah zerbrechlich.
    »Über Ihren Mann«, antwortete er.
    Sie zuckte zusammen, wirkte überrascht. Nervös strich sie eine Haarsträhne zurück, die sich aus dem locker am Hinterkopf gebundenen Zopf gelöst hatte. Ihr Haar war so goldblond wie in der Sonne leuchtender Weizen und reichte bis zur Taille. Sie war groß und sehr schlank, im Grunde eine sehr schöne Frau, fand Michael. Nur ihr Gesicht wirkte so freudlos und betrübt wie ein wolkenverhangener Novemberhimmel.
    »Da gibt es nichts zu besprechen«, murmelte sie abweisend.
    »Ich habe wirklich nur ein paar Fragen, Frau Berger«, erwiderte er mit Nachdruck. »Es wird garantiert nicht

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