Puppentod
Hinweis erhalten zu haben. Deshalb blieb er zögernd vor ihr stehen und überlegte, was er sagen oder fragen konnte, um ihr eine Information zu entlocken.
Da hörte er wieder die Klaviermusik, diese dramatischen, dunklen Töne, die so finster und beinah diabolisch klangen.
»Hat Ihr Mann auch zu seiner Tochter den Kontakt abgebrochen?«, fragte er ungläubig. »Wo er doch so stolz auf das Mädchen sein könnte?«
Sie schluckte. Statt aber etwas zu erwidern, wie er es gehofft hatte, öffnete sie wortlos die Tür und wartete darauf, dass er ihr Haus verließ.
»Was ist das eigentlich für ein Stück, das Ihre Tochter da spielt?«, wollte er wissen.
»Der Mephisto-Walzer«, entgegnete sie. »Sie übt ihn für eine Aufnahmeprüfung.«
»Dann richten Sie ihr aus, dass sie ab heute ihren ersten Fan hat«, sagte Michael augenzwinkernd. »Ich werde kommen, wenn sie ihr erstes Konzert gibt.«
Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Und als er schon fast zur Tür hinaus war, sagte sie plötzlich: »Die Situation hat meinen Mann in eine tiefe seelische Krise gestürzt. So wachte ich eines Morgens auf, und er war weg. Ich habe ihn als vermisst gemeldet, aber wir haben nie mehr von ihm gehört. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.«
»Das tut mir sehr leid«, erwiderte er mitfühlend. Danach bedankte er sich für das Gespräch und ließ sie mit ihrem Schmerz allein.
Irritiert stieg Michael in seinen Wagen und fuhr aus dem Neubaugebiet hinaus, um dann irgendwo am Straßenrand
wieder anzuhalten und seine Gedanken zu ordnen.
Er war verwirrt, denn die Geschichte von der Vermisstenanzeige passte ganz und gar nicht zu dem, was Frau Meierhöfer erfahren hatte. Laut ihrer Information lebten die Bergers seit Jahren getrennt. Herr Berger arbeitete angeblich für ein großes Pharmaunternehmen in Asien, hatte seiner Frau das Haus überlassen und zahlte ihr einen großzügigen monatlichen Unterhalt. Davon, dass er vermisst wurde, war jedenfalls keine Rede gewesen.
Er ließ den Besuch bei Ilona Berger in seinem Kopf Revue passieren, sah sich wieder in ihrem Wohnzimmer sitzen und die hübsch eingerahmten Bilder in dem Glasregal neben dem Kamin betrachten. Ließ eine Frau solche Fotos im Wohnzimmer stehen, wenn sie seit Jahren von ihrem Mann getrennt war? Hätte sie unter diesen Umständen die gesamte Bildergalerie nicht in eine Kiste in den Keller oder auf den Dachboden verbannt? Frauen neigten doch zu Konsequenz in dieser Hinsicht. Hatte Ilona Berger ihren Mann aber tatsächlich als vermisst gemeldet, erschienen die Dinge in einem anderen Licht. Dann hoffte sie vielleicht Tag für Tag, dass er zurückkam, und wollte die Erinnerung an ihn aufrechterhalten.
Entschlossen startete Michael den Wagen. Er wollte wissen, ob sie die Wahrheit gesagt oder ihn belogen hatte. Das herauszufinden sollte keine Schwierigkeiten bereiten.
Deshalb saß er, nur eine Viertelstunde später, auf dem Starnberger Polizeirevier in Zimmer drei, vor dem Schreibtisch
eines älteren, gemütlich wirkenden Mannes mit Schnauzbart und stark bayrischem Akzent.
»Sie wollen also jemanden als vermisst melden?«, fragte der Beamte.
»Nein«, entgegnete Michael. »Ich möchte mich lediglich über eine vermisst gemeldete Person informieren.«
»Und um welche Person handelt es sich?«
»Um einen Frank Berger.«
Daraufhin gab der Beamte etwas in seinen Computer ein und wartete eine Zeit lang, bis er entnervt den Kopf schüttelte.
Er schien den Fall Berger nicht zu finden. Vielleicht, weil es ihn gar nicht gab? Hatte Ilona Berger also doch gelogen?
»Wie lange liegt die Vermisstenanzeige denn zurück?«, erkundigte sich der Beamte.
»Ungefähr zehn Jahre«, erwiderte Michael. »Aber so genau weiß ich es nicht.«
Schnaufend stand der Mann von seinem Stuhl auf und erklärte: »Seit heute Morgen haben wir hier ein Computerproblem, und ich komme nicht in das entsprechende Programm. Deshalb gehe ich jetzt die Akte raussuchen.«
Damit verließ er das Büro, um kurz darauf mit einer beigebraunen Mappe unterm Arm zurückzukehren. Wieder an seinem Schreibtisch sitzend, entnahm er ihr ein Foto. »Meinen Sie diesen Herrn?«
»Genau den«, sagte Michael, als er den sympathisch lachenden Mann mit den kurzen, aschblonden Haaren erkannte, den er vorhin auf den Bildern in Ilona Bergers Haus gesehen hatte.
Der Polizeibeamte erinnerte sich: »Das war so ein typischer Fall. Junge Familie, dicker Kredit für den Hausbau, ein Kind war schon da, das zweite unterwegs
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