Puppentod
lange dauern.«
Sie zögerte. Sie wusste genau, wer er war, daran zweifelte Michael keine Sekunde. Doch sie schien unschlüssig zu sein, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Dann endlich trat sie zaghaft einen Schritt zur Seite und ließ ihn eintreten.
Ihr Haus war großzügig und hell. Er wurde von ihr in ein gemütliches Wohnzimmer geführt, wo bis zur Decke reichende Sprossenfenster den Blick in den Garten freigaben. Darin blühte ein prachtvoller Magnolienbaum, dessen ausladende Äste eine Hollywoodschaukel umrankten.
Frau Berger bat ihn, Platz zu nehmen. Er setzte sich auf ein cremefarbenes Ledersofa vor dem Kamin, das zur Hälfte von einem riesigen, weich und kuschelig aussehenden Plüscheisbären in Beschlag genommen wurde.
Sie selbst blieb stehen, als hoffte sie, ihr Gast würde sich dadurch unwohl fühlen und schnell wieder gehen. Aber diesen Gefallen tat Michael ihr nicht, obwohl er ihre Hilflosigkeit bemerkte. Wie ein verlegenes Kind stand sie vor ihm in ihrem dunkelblauen, knielangen Kleid, das so leger an ihrem schmalen Körper herabfiel, als wäre es ihr zwei Nummern zu groß. Dazu trug sie Wollstrümpfe, und ihre Füße steckten in hellen Birkenstocksandalen.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie mit zitternder Stimme. Sie war ausgesprochen blass, und ihr Gesicht bestand nur aus diesen großen, wasserblauen Augen, die aussahen wie ein Ozean voller Traurigkeit. Sie glich ganz und gar nicht der strahlend schönen Frau auf den Fotografien, die in dem Glasregal neben dem Kamin standen. Dort schmiegte sie sich lachend in die Arme ihres Mannes und hielt stolz ihr Baby in die Kamera. Auf diesen Bildern sah sie sehr glücklich aus, hatte ein hübsches, volles Gesicht und mindestens zehn Kilo mehr an Gewicht.
Klavierspiel klang plötzlich durch das ganze Haus. Jemand griff stark in die Tasten und spielte voller Leidenschaft eine düstere Musik.
Eine Entschuldigung murmelnd, lief Frau Berger aus dem Wohnzimmer. Als sie kurz darauf zurückkam, war die Musik noch zu hören, aber wesentlich leiser.
»Spielt Ihre Tochter so gut Klavier?«, fragte Michael und entdeckte ein Aufleuchten in ihren Augen.
»Sie will einmal Pianistin werden«, antwortete Frau Berger mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme. Dann setzte sie sich in einen der zwei Sessel, die dem Ledersofa gegenüberstanden, und fragte: »Was möchten Sie wissen?«
Michael holte tief Luft. Auch wenn er seine Fragen vorher gut überlegt hatte, fiel es ihm jetzt schwer, sie zu stellen. Diese Frau wirkte so empfindsam und verletzlich wie ein gerade gepflanztes Bäumchen, das der kleinste Windhauch umwehen könnte.
»Vor zehn Jahren war Ihr Mann bei MediCare als Chefchemiker beschäftigt«, begann er vorsichtig und wartete ihre Reaktion ab. Ihr Gesicht aber war wie versteinert. Deshalb fuhr er fort: »Nach nur zwei Jahren wurde ihm allerdings fristlos gekündigt. Und ich möchte herausfinden, welchen Grund es dafür gab.«
»Wieso fragen Sie das nicht Ihren Vater?«, entgegnete sie überraschend schroff.
»Das habe ich getan«, erwiderte er, »und zur Antwort bekommen, dass Ihr Mann Rezepturen von MediCare an die Konkurrenz verkauft hat.« Das hatte er zwar nicht von seinem Vater, sondern von Frau Meierhöfer erfahren, aber das spielte keine Rolle.
»Also kennen Sie doch den Kündigungsgrund«, sagte sie.
»So?« Er sah sie fragend an. Irritiert wich sie seinem Blick aus.
Frau Meierhöfer hatte ihm erzählt, dass die Labormitarbeiter, die Herrn Berger kannten, bis heute nicht an diesen Kündigungsgrund glaubten. So etwas hätte ein Frank Berger niemals getan, hatte Frau Schulze vom Labor gestern Abend zu Frau Meierhöfer gesagt.
»Sie leben von Ihrem Mann getrennt, nicht wahr?«, tastete Michael sich behutsam an sein eigentliches Anliegen heran.
Ihre Antwort war ein knappes: »Ja.«
»Ich würde gern mit Ihrem Mann sprechen. Können Sie mir sagen, wo und wie ich ihn erreichen kann?«
»Nein.«
»Das wissen Sie nicht?«
»Nein.«
»Sie haben nicht einmal eine Telefonnummer?«
»Das sagte ich Ihnen doch!« Sie faltete verkrampft ihre Hände ineinander und drückte die Fingerkuppen tief in die Handrücken ein. Sie log ihn an, das spürte er. Es lag förmlich in der Luft.
Plötzlich sprang sie ruckartig auf. »Ich kann Ihnen nicht helfen. Bitte gehen Sie jetzt. Es tut mir leid.«
Verwundert über das abrupte Ende ihres Gespräches folgte er ihr zur Haustür. Doch er wollte sie nicht verlassen, ohne wenigstens einen kleinen
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