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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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nicht vertraut war und deshalb auch nichts zu erwidern wusste, war er froh, als der ölverschmierte Herr Wiesner unter der Maschine hervorkroch.
    »Sie müsste jetzt wieder laufen«, sagte er.
    Daraufhin betätigte eine der Frauen den Schalter, und die Maschine vollführte ihre gewohnt eleganten, leise surrenden Drehbewegungen.
    Der Produktionsleiter atmete erleichtert auf, und die Mitarbeiterinnen gingen zurück an ihre Arbeitsplätze.
    »Ist es etwas Ernstes?«, fragte Michael Herrn Wiesner und zeigte auf die Maschine.
    »Sie spinnt immer wieder«, antwortete er, während er mit einem Tuch seine schmutzigen Hände säuberte. »Wenn es so weitergeht, müssen wir den Kundendienst kommen lassen. Was kann ich für Sie tun, Herr Westphal?«
    »Ich wollte mir den Golf ausleihen«, sagte Michael. »Ich hoffe, Sie brauchen ihn in den nächsten Tagen nicht.«
    Herr Wiesner schüttelte seinen zerzausten Kopf. »Kein Problem. Sie wissen ja, wo die Schlüssel sind. Der Wagen steht vor Halle eins. Wenn Sie ihn nicht mehr brauchen, stellen Sie ihn einfach dorthin zurück und legen die Schlüssel in mein Büro.«
    »Wird gemacht«, sagte Michael und winkte ab, als Wiesner ihn darauf aufmerksam machte, dass der Wagen
total dreckig sei. Das interessierte ihn herzlich wenig. Er brauchte lediglich ein Auto, das Lisa nicht kannte.

    Als Michael aufwachte, war es fast Mitternacht. Er war eingeschlafen, obwohl er fest entschlossen gewesen war, wach zu bleiben. Aber schon in der letzten Nacht hatte er zu wenig Schlaf bekommen, sodass er sich gegen die Müdigkeit kaum hatte wehren können.
    Nun aber hatte ein Geräusch ihn geweckt. Lisa stand auf! Still blieb er liegen und lauschte in die Dunkelheit. Sie flüsterte wieder seinen Namen. Er reagierte nicht, atmete stattdessen ruhig und gleichmäßig. Er hörte, dass sie sich anzog, und kurz darauf schnappte leise die Tür ins Schloss. Nun sprang er blitzartig aus dem Bett. In Sekundenschnelle zog er sich an, stürzte die Treppe hinunter und folgte ihr im Schutz der Zypressenbäume zum Eingangstor. Dort fand wieder dasselbe Prozedere statt. Lisa wartete, bis das Tor vollends geöffnet war, robbte auf dem Bauch liegend hindurch und verschwand in der Nacht.
    Auf alles vorbereitet, nahm Michael die Fernbedienung aus der Tasche seiner Jeans, stoppte damit das Schließen des Tores und rutschte, ebenfalls auf dem Bauch liegend, hindurch. Es war nicht die eleganteste Art der Fortbewegung und außerdem sehr mühevoll, doch zweifellos hatte sie einen entscheidenden Vorteil. Morgen früh nämlich würde der Mitarbeiter der Firma Dexter-International-Security zu ihm sagen, dass alles in Ordnung gewesen sei, es keinerlei Bewegungen am Eingangstor
gegeben habe. Dabei waren die Dexter-Leute nicht dumm und hatten seinem Vater bereits eine komplette Modernisierung der Kameraanlage nahegelegt, auch weil aus unerfindlichen Gründen in der letzten Nacht die Aufzeichnungsgeräte ausgefallen waren.
    Da ihm schon beim Planen seiner Verfolgungsaktion klar war, dass er Lisa niemals einholen konnte, hatte er den Golf nur ein paar Meter vom Parkplatz entfernt am Waldrand abgestellt. Kaum saß er darin, preschte der Wagen mit dem Hamburger Kennzeichen bereits an ihm vorbei. Er startete den Golf und jagte hinterher. Allerdings fuhr Lisa so schnell die Seestraße entlang, dass er nicht nur Mühe hatte, ihr zu folgen, sondern auch inständig hoffte, nicht der Polizei zu begegnen.
    Irgendwann bog sie rechts ab, raste durch ein Waldstück und passierte, ohne auch nur ein einziges Mal abzubremsen, das Ortseingangsschild eines friedlich schlummernden Dorfes. War sie verrückt geworden? Wohin fährt sie überhaupt mitten in der Nacht, fragte er sich, obwohl ihm die Strecke bekannt vorkam.
    Nachdem sie den Ort verlassen hatte, leuchteten die roten Bremslichter ihres Wagens kurz auf. Sie bog nach links in einen unbeleuchteten Waldweg. Jetzt wusste er, wo er war. Was wollte Lisa an dieser kleinen Kirche?
    Damit sie die Verfolgung nicht bemerkte und keinen Verdacht schöpfte, fuhr er weiter geradeaus, bis er eine kleine Straße zum Wenden fand. Weil dort aber ein Hinweisschild mit der Aufschrift St.-Anna-Kapelle stand, fuhr er in die Straße hinein und gelangte tatsächlich zu der kleinen Waldkirche. Er parkte den Wagen in entsprechender
Entfernung und schaltete die Scheinwerfer aus. Es war jetzt stockfinster. Straßenlaternen gab es hier draußen nicht, und am Himmel leuchtete nur eine schmale Mondsichel. Er sah hinaus in die

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