Puppentod
Schleife versehen.
Hofstetter, dachte Michael.
Entzückt nahm Hilde das Präsent entgegen und warf ihm einen zärtlichen Blick zu, während sie vorsichtig Schleife und Papier entfernte und in freudiger Erregung die flache, rote Schmuckbox öffnete. Ein Collier lag darin - funkelnde Diamanten, in Gold gefasst, auf rotem Samt.
Sie verdrückte eine Träne der Rührung. Herr Hofstetter hatte zweifelsohne aufs Neue ihren Geschmack getroffen.
»Oh, Rudolf, ist das schön«, flüsterte sie.
Und er erwiderte: »Für dich ist nichts zu schön.«
Michael lehnte sich zurück. So viel gespielte Harmonie konnte er nicht ertragen.
In diesem Moment kam Frau Beckstein herein. Sie trug ein Päckchen unter dem Arm, das in glänzendes
weißgoldenes Papier gewickelt war, gab es Hilde und sagte: »Das hat gerade eine Bote für Sie abgegeben.«
»Ein Bote?« Erstaunt sah Hilde erst Frau Beckstein und dann Rudolf an. »Noch ein Geschenk für mich?«
Er wehrte ab. »Ich habe keine Ahnung.«
»Was hat der Bote denn gesagt?«, wollte Hilde von der Haushälterin wissen.
»Nichts«, erwiderte diese. »Nur, dass ich Ihnen das geben soll.«
»Na, dann sehen wir mal nach, was drin ist!« Erwartungsvoll riss sie das Papier auf. Ein flacher Pappkarton kam zum Vorschein, verklebt mit braunen, breiten Klebestreifen. Frau Beckstein brachte eine Schere. Während Hilde die Klebestreifen durchschnitt, herrschte am Tisch gespanntes Schweigen. Sie klappte den Deckel nach oben und blickte in das Päckchen hinein, erst verwundert, dann irritiert, bis ihr Gesichtsausdruck sich plötzlich verfinsterte und ihre Mimik schließlich zu Stein erstarrte.
»Was ist los?«, fragte Michael.
Daraufhin legte sie wortlos den Inhalt des Päckchens auf den Tisch - Fotos im A4-Format, auf denen Rudolf mit einer jungen, attraktiven Blondine zu sehen war, nackt und in eindeutigen Positionen. Auf einem der Bilder tranken sie Champagner in der Badewanne, auf einem anderen lag Rudolfs Hand auf ihrem Busen, und auf dem nächsten waren ihre Körper eng umschlungen.
Rudolf wurde kreidebleich. Er wollte etwas sagen, holte tief Luft und setzte zum Sprechen an, aber nicht ein einziger Ton löste sich aus seiner Kehle. Zum ersten Mal erlebte
Michael seinen Vater sprachlos. Und seine Mutter so würdevoll wie nie. Statt in Tränen auszubrechen, hysterisch zu werden oder schluchzend eine Szene zu veranstalten, stand sie stumm vom Tisch auf, blickte Rudolf voller Verachtung an, drückte ihm die Schachtel mit dem Diamantencollier in die Hand und verließ geradewegs das Esszimmer.
Nachdem sie gegangen war, war es totenstill. Empört sah Michael seinen Vater an, der entgeistert auf die Fotos starrte. Niemand sagte etwas. Nach minutenlangem Schweigen kam erneut Frau Beckstein herein. Sie trug wieder ein Paket unter dem Arm, diesmal war es etwas größer, doch in dem gleichen weißgoldenen Papier verpackt.
»Es war noch ein Bote da«, sagte sie verwundert, während ihr Blick auf die Fotos fiel. Vor Entsetzen weiteten sich ihre Augen, und ihre Wangen liefen puterrot an. »Das soll ich Ihnen geben.« Damit stellte sie das Paket abrupt vor Rudolf auf den Tisch und stürmte hinaus.
Zunächst ließ Rudolf es dort unberührt stehen und musterte es so skeptisch, als vermute er eine Bombe darin. Doch die Neugier siegte, und er öffnete es. In dem Paket befand sich eine Puppe - eine Puppe in einem weißen Spitzenkleid, das aussah wie ein Brautkleid.
»Was soll das?«, fragte er barsch, warf die Puppe auf den Tisch und sprang unbeherrscht auf. Er holte sich ein dickbauchiges Glas aus dem Schrank und schenkte sich am Getränkewagen einen doppelten Kognak ein.
Inzwischen nahm Michael die Puppe zur Hand. Sie glich den beiden anderen, ihr Kleid war leicht vergilbt, und
ihrer blonden Haarpracht haftete dieser muffige Geruch an, so als hätte sie für lange Zeit auf dem Dachboden eines alten Hauses gelegen. Misstrauisch und fragend sah er Lisa an. Doch die erwiderte offen und unbedarft seinen Blick. Dann griff sie nach der Puppe, betrachtete diese und sagte leise: »Sie hat einen Blutfleck auf ihrem Kleid.«
Vielleicht war inzwischen eine Stunde vergangen, vielleicht auch nur wenige Minuten, das konnte Michael nicht so genau sagen. Im Esszimmer herrschte noch immer eisiges Schweigen. Auf dem Tisch lagen nach wie vor die Fotos, die niemand anrührte.
Wie angewurzelt stand Rudolf neben dem Getränkewagen und schüttete den Kognak hinunter, während Lisa und Michael stumm am Tisch saßen.
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