Puppentod
die Waffen strecken und sich geschlagen geben. Dieses Mal nicht.
Mit verbissenem Gesicht und verschränkten Armen stand er da, als sein Vater die Tür aufschloss. Das schien Rudolf nicht beachtenswert, denn er begrüßte Michael nur kurz und rief sofort nach Hilde.
»Die ist in der Küche«, sagte Michael scharf. »Aber das, was du sie fragen möchtest, kann ich dir auch beantworten.«
Sein ungewöhnlicher Tonfall ließ Rudolf aufhorchen.
»Was wollte ich sie denn fragen?«, entgegnete er spitz.
»Du möchtest doch sicher wissen, warum das Bootshaus noch steht? Genau das kann ich dir sagen: weil ich die Abrissfirma weggeschickt habe, weil das Bootshaus nicht abgerissen wird, weil es eine Erinnerung an meinen Großvater ist und weil du - verdammt noch mal -
nicht der alleinige Herrscher in diesem Haus bist.« Er war in Rage. In den vergangenen zwei Stunden hatte er viel nachgedacht und war zu der Ansicht gelangt, sein Leben ändern zu müssen. Seit er denken konnte, hatte er sich dem Willen seines Vaters untergeordnet. Und war stets wie ein kleiner Junge behandelt worden. Das zeigten die Ereignisse der letzten Tage nur allzu deutlich. Er wurde über nichts informiert. Welche Fäden hinter den Kulissen gezogen und welche Spiele dort gespielt wurden, wusste er nicht. Er war eine Marionette - mehr nicht.
»Dann bestimmst du also jetzt, was in diesem Haus passiert?«, gab sein Vater verächtlich grinsend zurück.
Dieses Grinsen fand Michael widerlich. Es wirkte arrogant und selbstgefällig. Jedes Mal, wenn sein Vater ihn so ansah, fühlte er sich klein und unbedeutend. Auch jetzt. Doch er wollte dieses Gefühl nicht länger zulassen.
»Nein, das tue ich nicht«, entgegnete er. »Nur du wirst es auch nicht mehr tun. Wir haben deinen Absolutismus satt. Du bist nicht der Sonnenkönig, und wir sind nicht länger deine Untertanen, daran wirst du dich in Zukunft gewöhnen müssen.«
»Ich werde mich in meinem Haus an überhaupt nichts gewöhnen«, brüllte Rudolf zornig. »Und wenn dir das nicht passt …«
In diesem Augenblick kam Hilde angerannt. »Warum streitet ihr denn?«, rief sie erschrocken.
Doch weder Mann noch Sohn beachteten sie. Michael sah seinen Vater so provozierend an, als wollte er ihn
zum Duell herausfordern. »Was ist, wenn mir das nicht passt? Soll ich dann gehen?«
»Um Himmels willen«, jammerte Hilde, »was redet ihr denn da?«
»Das hörst du doch«, rief Michael wutentbrannt. »Ich werde gehen, denn ich habe es satt, von meinem Vater wie ein Schuljunge behandelt zu werden. Egal ob zu Hause oder in der Firma, ich bin für ihn immer nur der letzte Dreck.«
»Ach, daher weht der Wind«, schrie Rudolf. »Dem gnädigen Herrn gefällt es nicht, ein Lehrling zu sein. Er möchte gleich den großen Chef spielen und kann es nicht verkraften, einen Vater über sich zu haben.« Seine Augen funkelten böse, und seine Wangen glühten vor Zorn. »Ich habe diese Firma aus dem Nichts geschaffen. Ich habe sie groß gemacht und dafür meinen verdammten Kopf hingehalten. Deshalb sage ich auch, was und wie es gemacht wird. Ohne mich würde es das alles hier überhaupt nicht geben. Ohne mich säßt ihr nicht in dieser hochherrschaftlichen Villa, hättest du nicht in Amerika studiert und wäre deine Mutter nicht Stammkundin beim Juwelier Hofstetter.«
»Vielleicht wollte ich ja gar nicht in Amerika studieren«, konterte Michael angriffslustig, »und vielleicht würde Mama auf den Hofstetter pfeifen und lieber in ihrer eigenen Konditorei arbeiten?«
»Hört auf damit«, rief Hilde entsetzt. Tränen standen ihr in den Augen. »Hört sofort auf damit! Rudolf, du sagst jetzt nichts mehr. Wir haben morgen unseren dreiunddreißigsten Hochzeitstag, und ich will keine zerstrittene
Familie am Tisch. Schluss mit der Streiterei. Bitte …« Das war ein mit weinerlicher Stimme gesprochenes Machtwort, an das Rudolf sich jedoch unerwartet hielt. Er warf Michael einen letzten, grimmigen Blick zu und verschwand in seinem Büro.
Sobald er fort war, nahm Michael seine Mutter in den Arm und versuchte, sie zu beruhigen, obwohl er selbst noch so erregt war, dass ihm die Knie zitterten. Dennoch war er stolz auf sich. Zum ersten Mal war er stark geblieben und hatte echten Widerstand geleistet.
»Solche Streitereien kann ich überhaupt nicht leiden«, schluchzte Hilde. »Schon gar nicht vor unserem Hochzeitstag.«
»Trotzdem musste das alles einmal gesagt werden«, erwiderte Michael. »So geht es wirklich nicht weiter.«
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