Purgatorio
mir wohler sein. Aber die Brust will ich bedeckt, kein Ausschnitt. O nein, protestierte D., willst du meine Arbeit ruinieren? Wir werden einen quadratischen Ausschnitt machen, wie man ihn jetzt trägt. Was trage ich darüber? Es muss was Leichtes sein – jetzt setzt die Hitze ein, und wenn die Gäste aus Spanien kommen, wird es noch wärmer sein. Ein Seidencape wird dir besser stehen als ein Schal, sagte D. Oder vielmehr Seidengaze. Etwas, was zart über die Schultern fällt und leicht abzulegen ist, wenn es dich stört. Weiß, Elfenbein?, sagte Emilia. D. war nicht überzeugt. Mit deinem schwarzen Kleid ließen Elfenbein und Weiß das Ganze wie Konfektionsware aussehen. Wie fändest du Rosa? Diesen Sommer wird man viel Altrosa tragen. Wenn du magst, mache ich auch die Details an der Hüfte in Altrosagaze.
Emilia ging aufs Fest wie Aschenputtel in der Kürbiskutsche der Fee. Die Ohrringe der Mutter entfachten auf ihrem Gesicht ein Licht, das ihr aus einem anderen Körper zuzukommen schien – sie wusste, woher. Selbst der Aal kam sie sogleich begrüßen und rief: Mein liebes Kind, wie hübsch du bist! Er trug die ordenübersäte Generalsuniform. Dupuy gab ihm die Hand und verneigte sich vor der Gattin, die endlich einmal Gelegenheit hatte, die aufgequollenen Beine mit einem langen blauen Kleid zu bedecken. In den Hauptsaal gelangte man über eine Marmortreppe. Die Wirklichkeit war draußen geblieben, bei den wenigen Bettlerfamilien, die ihren Hunger mit dem stillten, was sie beim Herumstochern in den Mülltüten fanden. Der Saal, in dem Evita vor einem Vierteljahrhundert die Verzweifelten empfangen hatte, kopierte das Entree der Pariser Oper, mit tief goldenen Decken und Kapitellen. Im Inneren vervielfachten sich die Spiegel, in denen sich die Lüster, die Juwelen, die großen Schüsseln mit Kaviar und Langusten reflektierten. Emilia hatte Albträume von Spiegeln. Das Umkleidezimmer der Mutter hatte Spiegel an der Decke und von dort bis zum Boden. Als Kind hatte man ihr jeweils angedroht, sie dort einzuschließen, und seither hatte sie die Schreckensvorstellung nicht aus dem Kopf gebracht, eine Emilia zu sein, die sich in Hunderten fälschlicherweise gleichen Personen spiegelte, denn die Spiegelungen glichen einander nie. Von weitem erkannte sie Caccace, der hinter einem Tablett mit Wachteleiern herhechelte und sich jeweils zwei und drei auf einmal in den Mund schob. Ab und zu griff er zu einem Heftchen und machte sich Notizen. Das Königspaar war noch nicht eingetroffen, musste aber bereits in der Nähe sein, denn die Menge vergaß die Etikette und schaffte sich oben auf der Treppe hinter dem Aal mit den Ellbogen Raum. Emilia blieb lieber im Hintergrund, nahe beim Fenster, wo Juan Manuel Fangio, der alte Autorennchampion, vor der Hitze Zuflucht suchte. Auch sie hatte allmählich das Gefühl zu ersticken und legte das störende rosa Seidencape auf einen Stuhl zwischen zwei Vorhängen. Sie hörte Applaus und ging näher, um den König und die Königin zu sehen, die noch jung waren und glücklich aussahen. Der König trug einen ganz normalen Smoking. Neben ihm wirkte die Königin klein. Emilia blieb wie angewurzelt stehen, als sie ihr Kleid erblickte. Sie hatte gelesen, die Königin trage nur spanische Modelle, die von Balenciaga und seinen Schülern eigens für sie entworfen würden. Aber das, das sie an diesem Abend trug, war fast eine Replik ihres eigenen. Immer wieder betonte D. ihre Talentlosigkeit. Was ich mache, ist ganz einfach, sagte sie, eigentlich nichts. Und da stand die Königin in einem Modell wie das ihrer Modistin, das aber hundertmal mehr gekostet haben musste. Es war dasselbe Design, leicht tailliert, altrosa Verzierungen an der Hüfte, breite Träger und der quadratische Ausschnitt, der Emilia eingeschüchtert hatte. Nur die Farbe war unterschiedlich: das der Königin war weiß. Ebenfalls hatte ihr Balenciagas Designer oder wer auch immer ein Zwillingscape über die Schultern gelegt: rosa Seidengaze und eine fast unsichtbare rote Schleife. Emilia wusste nicht, wo sie sich verstecken sollte, sie fürchtete, die Königin könnte den Zufall bemerken. Auf der einen Seite verspürte sie Scham und Schamhaftigkeit, auf der anderen war sie stolz auf ihre Modistin. Nachdem sie das Cape abgelegt hatte, fühlte sie sich besser. Sie sah, wie sich die Königin, von der Menge umzingelt, ungeduldig Luft zufächelte, ohne jedoch ihr Lächeln abzulegen.
Die Kellner glitten von einem Grüppchen zum nächsten mit
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