Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
gute Frau und seiner Lucia eine gute Mutter zu sein. Oh ja, mit all meiner Kraft will ich dieses Versprechen halten! So wie ich dem Ewigen danken will für seine Gnade und für das Kind unter meinem Herzen, sollte Gesa die Zeichen wirklich richtig gedeutet haben. Aber warum sollte sie sich irren? Einen Sohn und Nachfolger für meinen guten Andrees oder ein kleines Mägdelein, das mir nicht von der Seite weicht – mein Herz tanzt vor Freude! Vielleicht ist die Zeit der Prüfungen nun endgültig vorüber, und der Ewige wird mir das Glück schenken, ein schönes und gesundes Kind zur Welt zu bringen. Darum will ich beten. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühle ich mich geborgen und beschützt. Oh, und wie sich meine arme Mutter über diese Nachricht freuen würde, und auch mein geliebter Vater, die einsam in kalter, englischer Erde ruhen müssen, weitab von ihren Lieben!
Hier endete dieses Schreiben, genauso abrupt, wie es begonnen hatte. Hatte ihre Mutter es erst später den Briefen hinzugefügt?
Mirijam trat an die umlaufenden Fenster und blickte auf das Meer. Das Glück ihrer Mutter, als sie erfuhr, dass sie ein Kind erwartete, rührte sie, besonders, wenn sie daran dachte, dass sie selbst es war, deren Wachsen und Werden Anlass für diese Freude gewesen war. Wenn sie sich doch nur an die Mutter erinnern könnte!
Antwerpen, den 10. März 1507
Ich hüte immer noch das Bett. Tagsüber bin ich aber meist fieberfrei, daher habe ich mich entschlossen, dieses eine Mal noch will ich mich daran erinnern, was damals geschah, und es aufschreiben. Danach aber werde ich dieses Kapitel endgültig schließen. Mit einem dann unbelasteten und frohen Herzen werde ich Dich aufwachsen sehen und Dich behüten. Ich schreibe es also für Dich auf, mein Sohn, oder für Dich, meine Tochter, damit Du auch diese Seite Deiner Herkunft kennst. Dein Vater weiß nicht viel darüber, ich habe ihm kaum etwas erzählt. Die Vergangenheit ist immer noch allzu schmerzlich, und eigentlich wollte ich, ich könnte sie endlich vergessen! Aber nun habe ich mich dazu durchgerungen, alles aufzuschreiben und diesem Papier hier anzuvertrauen, für den Fall, dass mir etwas zustoßen sollte. Von Angesicht zu Angesicht werde ich wohl niemals die Kraft aufbringen, Dir, mein liebes Kind, diese schreckliche Geschichte zu erzählen.
Mein Kind, das Schicksal meiner Familie ist leider keineswegs außergewöhnlich, wie Du nach dieser Einleitung denken magst, es ist im Gegenteil verbreitet bei den Familien unseres Volkes. Dennoch ist es wert, nicht in Vergessenheit zu geraten. Vergiss diese Wurzeln nicht, sie sind ebenso ein Teil von Dir wie die Wurzeln, die Dir von Deines Vaters Seite zuwachsen.
Es begann in Granada, kurz nach dem Chanukka -Fest 5252 nach dem jüdischen Kalender (Dezember 1492 nach dem christlichen Kalender). Schon seit zweihundert Jahren kämpften die christlichen Herrscher darum, die Mauren aus Spanien zu vertreiben, und ihre Heere hatten sich in dieser Zeit Stadt um Stadt nach Süden vorangekämpft. Inzwischen hatten Königin Isabella von Kastilien und König Ferdinand von Aragon auf ihrem blutigen Feldzug zur reconquista , der Rückeroberung Spaniens, Andalusien erreicht und belagerten die Stadt schon seit Wochen. Vor dieser Zeit war Granada eine schöne Stadt mit herrlichen Bauwerken, Palästen, Hochschulen und Gärten und seit Generationen die Heimat der Cohns. Juden und Christen hatten ihr gutes Auskommen unter den muslimischen Herrschern, denn sie standen unter dem Schutz des Emirs. Nun aber, da die Christen allmählich die Macht übernahmen und das gesamte Land in die Arme der katholischen Kirche zurückkehren sollte, wendete sich das Blatt. Die Anhänger Mohammeds und wir, die Juden, hatten zunehmend unter der Willkür und den Racheakten der Christen in der Stadt zu leiden.
Ich erinnere mich gut an diesen Tag, den ich gemeinsam mit meinen Freundinnen bei Spiel und Plauderei verbracht hatte. Es war der letzte glückliche Tag in meiner Heimatstadt Granada, bevor mein Leben und das meiner Familie in den Strudel des Unheils gerieten. Am Abend feierten wir im Familienkreis den Shabbat. Meine Familie, das waren meine Mutter Sarah Cohn, die viel vom Schreiben und Lesen hielt, mein Vater Samuel Cohn, für den der Handel und seine Geschäfte wichtiger waren, und meine hübsche kleine Schwester Rebecca, die damals gerade ihren zweiten Geburtstag gefeiert hatte. Ebenso gehörte dazu Vaters Bruder, Onkel Jacob Cohn, ein freundlicher Mann, der
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