Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Zaragoza, in Valencia und Teruel brannten die Scheiterhaufen der Inquisition, Gibraltar, Ronda, Malaga waren bereits von den christlichen Heeren erobert, und man erzählte von den Häfen, wo Muslime versuchten, nach Fes zu fliehen oder sonst ein afrikanisches Exil zu erreichen.
Mirijam fielen die Berichte über Abertausende von Handwerkern ein, die vor der Verfolgung durch die spanischen Könige nach Al-Maghrebija geflüchtet waren. In der Stadt Fes, überall an der Küste und auch hier in Mogador lebten die Vertriebenen und ihre Nachkommen, Silberschmiede, Stuckschnitzer, Möbelschreiner und Zimmerleute, die einst ihre Geschäfte im Kalifat von Al-Andalus aufgeben mussten und sich hierher in Sicherheit gebracht hatten.
In dieser Nacht begann unsere Flucht. In aller Eile packten wir ein paar Dinge zusammen und verließen, um nicht entdeckt zu werden, einzeln das Haus. Jeder für sich schlichen wir durch die Gassen und die Obstgärten bis zu dem Weg, wo die Diener mit den Maultieren warteten. Wir ritten zum Landgut unserer Familie, wo wir allerdings kaum sicherer als in der Stadt waren, weshalb wir zwei Nächte später erneut aufbrachen. Nach langen Diskussionen – Mutter wollte nach Fes, wo schon ihre Vettern lebten, Vater hingegen sprach von England und Onkel Jacob von Portugal, wo es angeblich keine Inquisition gab – brachen wir nach Nordwesten, Richtung England auf.
Die Strahlen der untergehenden Sonne blendeten, so dass Mirijam den Platz wechselte. Auch wenn ihr das Herz im Halse schlug und sie vor Aufregung einen trockenen Mund bekam, musste sie weiterlesen.
Wir hatten einen Führer, Joaqim Valverde. In Granada war er ein bekannter Schmuggler, der mitsamt seinen Kumpanen immer wieder die Blockade durchbrochen und die Stadt mit Getreide versorgt hatte. Außerdem verhalf er Menschen aller Religionen zur Flucht nach Málaga, wo die Schiffe zur Abfahrt nach Afrika warteten. Diese Hilfsdienste ließ er sich gut bezahlen, und je näher die christlichen Heere der Stadt kamen und je mehr die Angst der Menschen wuchs, desto teurer wurden sie. Ihm ging es ausschließlich um Geld! Außer Joaqim ritt unser alter Pferdeknecht Ibrahim mit uns, so dass wir insgesamt zu siebt waren: Joaqim, Vater und Onkel Jacob ritten voraus, dahinter kamen Mutter, die Rebecca auf dem Schoß hielt, und ich, und den Schluss bildete Ibrahim mit den Maultieren und dem Gepäck. Die Nächte über ritten wir, und tags versteckten wir uns, um den kastilischen Soldatentrupps zu entgehen. Unterwegs erreichte uns die Nachricht von einem Autodafé in Toledo, bei der Menschen – Juden und Muslime – bei lebendigem Leib verbrannt worden waren! Alle Einwohner der Stadt hatten dabei zusehen müssen, die Königin selbst wollte es so haben. In Toledo, so sagte man, gab es für die Juden weder Luft zum Atmen noch Wasser zum Trinken. Von diesem Moment an fügte sich unsere Mutter und wandte nichts mehr gegen die Flucht ein.
Mirijam schauderte. Selbst nach so vielen Jahren meinte sie, das drohende Unheil, das über diesen Menschen lag, beinahe zu spüren. Sie legte den Brief aus der Hand und trat ans Fenster.
Auch sie hatte fliehen müssen, doch aus vielerlei Gründen war das etwas anderes gewesen. Sie hatte damals erst kurze Zeit in Tadakilt gelebt, die Familie Cohn aber hatte ihre geliebte und vertraute Heimat verlassen müssen. Zudem, und daran glaubte sie in guten Zeiten auch heute noch, war die Bedrohung durch den Pascha vermutlich nicht allzu groß gewesen, was immer Abu Alî damals auch angenommen hatte. Auf die Cohns hingegen hatte der Scheiterhaufen gewartet!
Sie war aufrichtig dankbar, in Abu Alî wenigstens noch so etwas wie eine Familie zu haben, nachdem Mutter, Vater und Schwester nicht mehr lebten. Ihre Mutter war in einer richtigen Familie aufgewachsen, mit Sarah und Samuel Cohn, ihren Eltern, mit ihrer Schwester Rebecca, und dem Onkel Jacob, jedenfalls bis zu ihrer Flucht …
Plötzlich durchzuckte sie ein Gedanke. Von welchem Muttermal des Onkels war hier eigentlich die Rede? Advocat Cohn, der Onkel, den sie kannte, trug jedenfalls kein derartiges Zeichen im Gesicht. Konnte so etwas von allein verschwinden, durch ein Bleichmittel, eine Salbe oder ein Heilkraut? Davon hatte sie noch nie gehört.
Dieser Onkel machte ihr sowieso zu schaffen. Sie wollte nicht an seine Schuld glauben. Doch was, wenn Abus Anschuldigungen gegen ihn begründet waren? Wenn es sich allerdings um einen vollkommen anderen Menschen handelte, um jemanden, der
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