Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
und damit den freien Handel zu ruinieren? Und wer, bei Allah, brauchte ihr Militär, in das immer wieder Söhne ihrer Stämme zwangsweise gepresst wurden? Wieso sollten ausgerechnet die Portugiesen den Grenzverkehr mit den Nachbarn vorschreiben oder gar verbieten können? Was verstanden sie denn schon vom Leben eines viehzüchtenden Nomaden? Wozu brauchte man überhaupt Grenzen? Diese willkürlichen schwarzen Striche auf ihren Papierkarten konnte im Sand sowieso niemand sehen! So oder so ähnlich klangen ihre Argumente, die er seit seiner Ankunft in Mogador immer wieder hörte.
Einige ihrer eigenen Stammesführer allerdings, zumeist Fürsten mit dem Streben nach Macht und persönlichen Vorteilen, hatten insgeheim mit den Portugiesen Verträge geschlossen, was weitere Unruhen provozieren konnte. Musste er sich deswegen Sorgen machen? Aufstände und Kämpfe, ganz gleich, aus welchem Grunde sie geführt wurden, waren ihm ein Gräuel. Doch er wischte seine Sorgen beiseite.
Seitdem er Capitão António, den Festungskommandanten in Mogador, in die Strategie des arabischen Schachspiels shatranj eingeführt hatte, was sie nun regelmäßig miteinander spielten, kam er hervorragend mit den Portugiesen aus. Er war sicher, Capitão António würde ihn notfalls warnen.
Neben seinen guten Kontakten zur portugiesischen Verwaltung war er aber auch auf das Wohlwollen und die Arbeitskraft der ortsansässigen Berber angewiesen. Die hochmütigen Portugiesen lieferten ihm schließlich weder Heilkräuter noch Purpurschnecken oder Wolle, sie trugen die Uniform ihres fernen Königs, schulten ihre Soldaten und übten mit ihren Waffen. Er aber benötigte beide, die Portugiesen wie die Berber, und musste unbedingt darauf achten, nicht zwischen die Fronten zu geraten.
Der alte Arzt räumte seine Gerätschaften und Tabellen fort, verschloss die Tür des Turmzimmers und stieg langsam die Treppe hinunter.
Unten blieb er einen Augenblick in der Tür der Teppichmanufaktur stehen und sah in den dunklen Raum. Es roch ein wenig muffig nach Wolle. Hier, zu ebener Erde zwischen den dicken, behauenen Steinen des Turmfundaments, hatte Azîza mit ihrer Weberei begonnen. Unter Anleitung zweier kundiger Berberfrauen hatte sie bereits kurz nach ihrer Ankunft in der Stadt die Teppichweberei erlernt und bald darauf zunächst zwei, dann vier Webstühle bauen und aufstellen lassen und damit begonnen, die Wolle der Nomaden zu verarbeiten. Inzwischen kamen jeden Tag vierzehn junge Frauen und arbeiteten für Azîza, stolz darauf, ein eigenes Einkommen zu haben.
Es war eine Freude zu sehen, wie klug Azîza ihre Manufaktur leitete und wie sie in dieser Arbeit aufging.
Während er noch mit seinen Farbrezepturen experimentierte, hatte sie bereits die Idee verfolgt, zusätzlich zu den üblichen Naturtönen, wie sie direkt von den Tieren stammten, auch bunte Wolle in ihren Teppichen zu verarbeiten. Färbepflanzen fanden sich genügend in der Umgebung, also setzte er – neben der Purpurfärberei – besonderen Pflanzensud an, färbte die gesponnene Wolle der Nomaden in verschiedenen Farben ein, und Azîza verwebte sie zu warmen Decken und Teppichen. Bei einigen Teppichen ließ sie noch zusätzlich geknüpfte oder gestickte Muster hinzufügen, Arabesken und Rankenornamente, so dass ganz besondere Stücke entstanden. In Santa Cruz de Aguér hatte sich ein Händler gefunden, der den Verkauf in alle Welt übernommen hatte. Ja, auch dieses ließ sich gut an.
Er stützte sich schwer auf den Stock, als er die Teppichmanufaktur verließ. Die Stadt schlief bereits, und nur das Zirpen der Grillen war zu vernehmen, als er durch die vom Mondlicht erhellten Gassen seinem Haus entgegenstrebte. Sicher wartete Azîza auf ihn und hatte ein Tablett mit einem kleinen Imbiss für ihn vorbereitet. Sie wusste, das hatte er gern, wenn er spät nach Hause kam.
Wie immer, wenn er an seine Tochter dachte, fühlte er sich froh. Wie gern er das kluge Mädchen um sich hatte und es in allem unterrichtete, was ihm selbst wichtig war! Es wollte ihm scheinen, als sei dies seine eigentliche Lebensaufgabe. Bei sich selbst nannte er sie noch immer seine Kleine, obwohl sie inzwischen eine junge Frau …
Er blieb stehen, und plötzlich verstand er, welcher Art die Veränderungen waren, die die Sterne ankündigten.
» Binti?«, rief er beim Betreten des Hauses. » Bist du da?«
» Hier, Abu.«
Der Alte betrat sein Arbeitszimmer, einen beeindruckenden Raum mit einer Täfelung aus poliertem Holz
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