Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
hatten. Danach hatten sie ihre kleinen Pfeifen gestopft und reihum gehen lassen. Damals war er zum ersten Mal geflogen wie ein Vogel, die Welt war plötzlich hoch und weit gewesen und voller Farben.
» Was für wunderbare Farben«, murmelte er vor sich hin. Seit jener Zeit hoffte er bei jeder Pfeife, die er sich bereitete, diese Vielfalt, diesen unendlichen Reichtum an Farben wiederzufinden. Doch niemals wieder hatte er ähnliche Nuancen aller nur denkbaren Blautöne gesehen, wie bei der ersten Begegnung mit diesem Kraut. Dennoch gab er nicht auf. Später hatten ihn die Hirten gefragt, wer denn diese schöne Anahid sei, von der er im Rausch geschwärmt hatte.
Anahid war wohl die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Sie trug nie einen Schleier, so dass jeder ihr feines, hellhäutiges Gesicht mit der edlen Nase und dem schön geschwungenen Mund, vor allem aber ihre dunkel glänzenden Augen, die von langen Wimpern eingerahmt wurden, bewundern konnte. Ihr zu einem Knoten geschlungenes Haar glänzte blauschwarz, und sie trug Seidengewänder, die sich an ihren wohlgeformten Körper schmiegten, sowie reichlich Schmuck aus schwerem Silber, Bernstein und Karneol. Sie war eine bint sa’ad, eine Tochter der Sa’adier, jenem alten Berbergeschlecht , das im fernen Tal des Oued Ziz lebte. Eine andere Linie ihrer Familie führte in das fruchtbare Tal des Dràa und zu den ruhmreichen Zennata, jenem Berbervolk, das angeblich schon gemeinsam mit den Karthagern gegen die Römer Krieg geführt hatte.
Anahid war eine Sheïka, eine hochgestellte, selbstständige Frau mit erstaunlichen Freiheiten, und sie liebte die Wüste. Zugleich aber liebte sie auch die Wildheit des Meeres, und deshalb hielt sie sich mit ihrem eindrucksvollen Haushalt in der heißen Jahreszeit hier auf, in ihrem Haus am Rande der Stadt, unweit des Strandes.
» Um welchen Preis kann eine Frau so leben wie du? Du verhältst dich, als würdest du ganz allein über dich bestimmen. Noch dazu lebst du mit einem Mann unter einem Dach, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Musst du keine Regeln befolgen?«, hatte er zu Beginn gefragt. Natürlich gefiel ihm ihre Ungebundenheit, aber außer Anahid kannte er keinen Menschen, und schon gar keine Frau, die sich ungestraft derartige Freiheiten herausnehmen konnte.
» Ich lebe eine Tradition, die sich aus uralter Zeit erhalten hat«, erklärte die junge Frau. » Früher hatten die Frauen in den Stämmen mehr Macht als heute, vielfach waren sie sogar deren Anführerinnen. Sie herrschten friedlich und umsichtig, was man schon daran sehen kann, dass es zu ihrer Zeit kaum Kriege gab. Die alten Götter hielten ihre schützende Hand über die Menschen, und die Stämme litten keine Not.« Bei ihren Worten hatte Anahid sehnsüchtig in die Ferne geschaut, als seien dort Bilder aus dieser goldenen Zeit erschienen. » Seit damals leben unverheiratete Frauen meines Volkes, aber auch die der Tuareg und einiger Bergvölker frei mit verschiedenen Männern zusammen. Erst wenn die Familien sie zu ihren Pflichten rufen, müssen sie sich entscheiden oder den Mann heiraten, der der Ältestinnenrat für sie bestimmt. Von diesem Tag an dreht sich alles um die Interessen der Familie. Auch für mich wird dieser Tag kommen.«
Offenbar war er noch nicht da, dieser Tag, dachte Cornelisz und streckte sich, und hoffentlich lag er noch in weiter Ferne. Bis dahin wollte er unter ihrer Obhut nichts als genießen und malen. Er rief in die Dunkelheit: » Hakan, bring mir Wasser.« Wie aus dem Nichts tauchte ein Diener auf und reichte ihm einen Becher. Cornelisz dämmerte weiter vor sich hin.
Er führte ein wundervolles Leben. Schwarze Sklaven sorgten für sein leibliches Wohl und tischten ihm Tauben mit Mandeln auf, Couscous mit Hammel oder andere Köstlichkeiten. Oft kamen Musikanten und Tänzerinnen, und Tag für Tag lagen reine, weiße Gewänder für ihn bereit. Im Hamam knetete ein Masseur seine Muskeln und rieb seine Haut mit duftendem Öl und Sandelholzparfüm ein, und jederzeit standen Trauben und süße Feigen auf kleinen Tischen für ihn bereit. Des Nachts, wenn Anahid im Schein duftender Öllampen die Haare löste und ihre silberne Gewandfibel öffnete, so dass die weichen Seidenstoffe langsam von ihren Schultern über die hohen Brüste und den flachen Bauch hinabglitten und schließlich als seidige Wolke zu ihren Füßen landeten, glaubte er auch jetzt manchmal noch, im Paradies zu sein.
Gleichzeitig aber fühlte er sich immer weniger wohl. Mit
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