Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
sein rechtes Auge. » Du hast recht, inzwischen sieht das Auge aus, als sei es vollständig mit geronnener Milch gefüllt.«
» Wie ich es erwartet habe«, meinte der Alte.
» Im linken Auge ist jedoch von einem Schleier nichts mehr zu sehen.«
» Al-hamdullillah, mit Gottes Hilfe warst du also erfolgreich. Das deckt sich übrigens mit meiner Erfahrung, denn sogar die kleinen, koptischen Handschriften kann ich bei gutem Licht fast ohne Lesestein entziffern. Aber das überrascht mich nicht. Als es darauf ankam, hattest du eine ruhige Hand.«
Ein wenig half ihr dieses Lob aus seinem Mund. Er hatte ja recht, damals hatte sie trotz großer Angst alles richtig gemacht. Warum sollte es nicht ein zweites Mal gelingen? Außerdem war keine Zeit zu verlieren, das rechte Auge war tatsächlich schon ganz trüb.
Vermutlich ermüdete das linke Auge auch deshalb so rasch, weil es Arbeit für zwei leisten musste. Schon seit geraumer Zeit behalf sich der Abu mit diversen Lesehilfen und Vergrößerungsgläsern, was mühselig und oft unbefriedigend war, besonders, wenn er etwas Bestimmtes suchte oder schnell etwas nachschlagen wollte. Manchmal, hatte sie beobachtet, kam es sogar vor, dass er aufgeben und den Lesestein beiseitelegen musste. Ohne seine geliebten Bücher aber konnte er nicht sein.
Und doch zögerte sie. Trotz des guten Ergebnisses vor einigen Wochen fürchtete sie sich vor dieser Aufgabe.
» Ich bitte dich«, sagte der alte Arzt schließlich leise. » Die Sterne stehen ebenso günstig wie beim letzten Mal. Zudem kannst du nun auf eigene Erfahrung zurückgreifen. Und ich weiß, du bist eine gute Hakima. Bitte!«
» Nicht bitten!« Mirijams Stimme zitterte. Rasch ergriff sie seine Hände. » Nicht bitten, lieber Abu! Fordern, du hast jedes Recht, Hilfe von mir zu fordern. Ich bin es doch, die dir Dank schuldet. Wie oft denke ich daran, was wohl aus mir geworden wäre, wenn du mich damals nicht zu dir genommen hättest!«
Abu Alî machte ein strenges Gesicht und winkte ab. » Es ist töricht, sich mit Problemen von früher zu quälen oder von einem Unglück zu reden, wenn es überstanden ist. Stehen Hocine und Haditha bereit? Sie kennen ja ihre Aufgabe und wissen, was zu tun ist.«
Mirijam nickte.
Wie damals nahm der alte Arzt zwei seiner Betäubungspillen und spülte sie mit einem Schluck Wasser hinunter. Mirijam sah ihm zu. Schließlich straffte sie sich und nickte.
Alî el-Mansour öffnete seine Hände zum Gebet, dann nickte auch er. » Bismillah we rahman we rahim …«
Wie schon bei der ersten Operation begann Mirijam auch diesmal erst dann zu zittern, als der Sherif versorgt und verbunden zwischen seinen Decken lag. Ihre Hände, die ihm einen Becher reichten, bebten.
» Fürchte dich nicht, mein Kind«, sagte Abu Alî mit leiser Stimme. Seine Hand tastete nach der ihren und drückte sie. » Du gibst mir mein Augenlicht zurück. Dafür danke ich dir bis ans Ende meiner Tage.«
Rastlos schritt Mirijam im Garten auf und ab. Die Nacht war klar. Sie schaute hinauf, wo der Mond übergroß wie eine Barke am Himmel hing und die Sterne überstrahlte.
» … bis an das Ende meiner Tage«, hatte er gesagt, und diese Worte hatten sie getroffen. Der Eingriff lag nun drei Tage zurück, und wenn es auch keine dramatische Entwicklung gab, eines ließ sich nicht leugnen: Um Abu Alîs Gesundheit stand es nicht zum Besten. Er war schwächer als gedacht, sogar viel schwächer, seitdem ein Husten hinzugekommen war, und dann sein Alter … Was, wenn er nicht wieder genas, sie gar allein zurückließ?
Wie immer gab es niemanden, mit dem sie diese Sorgen hätte teilen können. Einen Vertrauten an der Seite zu haben, oder eine Freundin, die ihre Nöte verstand, das musste wunderbar tröstlich sein!
» Binti, bist du da?«, drang die Stimme des alten Arztes durch die geöffnete Tür in den Garten hinaus.
Sie schaute noch einmal zum Mond hinauf, dann eilte sie zurück ins Krankenzimmer. » Brauchst du etwas? Hast du Durst?«, fragte Mirijam besorgt und beugte sich über den Kranken. Von der Seite fiel Licht auf das unter der Bräune blasse Gesicht mit dem weißen Verband über den Augen. Es vertiefte sämtliche Falten und hob die scharfe Nase und die eingefallenen Wangen mit den weißen Bartstoppeln noch hervor.
Alî el-Mansour tastete nach ihrer Hand. » Danke, ich habe alles. Aber ich möchte mit dir sprechen.«
» Ja, Vater«, sagte sie und zog einen Hocker heran.
» Mein Kind, ich sorge mich um dich«, begann der Alte.
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