Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
den Jahren hatte Anahids Zauber für ihn nachgelassen, während sie ihn inzwischen fast wie einen Diener behandelte. Sie zitierte ihn sogar bisweilen in ihr Bett, zwar halb im Spaß, aber wirklich lustig gerierte sie sich dann nicht! Warum ließ er das zu? Er war nicht ihr Leibeigener.
Wenn er allerdings kein kif geraucht hatte und ehrlich zu sich selbst war, kannte er die Antwort genau: aus Bequemlichkeit. Manchmal verachtete er sich dafür, dann wieder schob er jeden Gedanken daran beiseite. Was hätte er auch tun sollen, etwa nach Antwerpen zurückgehen?
Soweit er es seinerzeit verstanden hatte, hatte sein Vater alles auf eine Karte gesetzt und die Waren mehrerer Handelshäuser, ohne deren Kenntnis, um Afrika herum verschiffen lassen. Was für ein unglaublich riskantes Spiel! Und es war nicht gut ausgegangen: Sein tollkühner Vater war tot, und die Schiffe waren während ihrer Afrikaumrundung gesunken. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Er war der letzte van Lange, sollte er also alles ausbaden und für den immensen Schaden einstehen, sollte er für Vaters Ehrgeiz büßen? Sein Leben würde nicht lange genug dauern, alle Ansprüche zu befriedigen, kein Leben währte dafür lang genug!
Jedes Mal, wenn er an den Untergang der San Pietro und dessen Folgen dachte, kam es ihm vor, als sei damals ein Blitz mitten hinein in sein Leben gefahren und habe es in ein » Vorher« und ein » Nachher« geteilt.
Nein, dachte Cornelisz, er würde bei Anahid bleiben, solange sie es zuließ. Unter ihrem Schutz konnte er malen, Farben zubereiten und ihre Eigenarten erproben, und das war ihm nun einmal das Wichtigste. Er konnte in einem der Innenhöfe die Materialien selbst herstellen, wie den guten Leim, den er aus Ziegenschnauzen, Klauen und Häuten kochte. Das aber tat er nur dann, wenn sich Anahid außer Haus aufhielt. Der fette Qualm, der dabei entstand, zog in stinkenden Schwaden durch ihren Garten. Doch der Leim war notwendig, um aus normalen Brettern einen halbwegs guten Malgrund zusammenfügen zu können. Allzu oft hatten ihn die Holzhändler und Schreiner schon enttäuscht, so dass er diese Arbeit inzwischen grundsätzlich selbst erledigte. Außerdem benötigte er den Leim auch zur Herstellung der Grundierung, die die folgenden Farbschichten erst richtig zum Leuchten brachte. Für die Porträts verwendete er als Inkarnat einen Farbton, der lebendig wie Haut wirkte und aus verschiedenen roten Pigmenten bestand. Sollte er allerdings je ein Porträt von Anahid malen, müsste er für ihren Hautton eine andere Pigmentmischung wählen, vielleicht mit etwas Ocker, wie er ihn an den Steilufern des Oued Sous gefunden hatte. Ihm schwebte jedoch sowieso kein Porträt vor, sondern eine göttliche Gestalt, umgeben von den Früchten und Gaben der Oase. In Italien hatte er Gemälde gesehen, die ihm in ihrer Vollkommenheit nicht mehr aus dem Sinn gingen.
Obwohl er sich geschworen hatte, nie wieder einen Fuß auf ein Schiff zu setzten, hatte er Miguel letztes Jahr nach Italien begleitet. Er wusste, dort fand man die außerordentlichsten Kunstwerke, die schönsten Gemälde, die herrlichsten Paläste, deren Wände mit Fresken und Alabaster verziert waren, und Kirchen, in deren Kuppeln goldene Mosaike schimmerten. Heute war er froh, seine Angst gegenüber dem Meer überwunden zu haben, denn seine Erwartungen waren sogar noch übertroffen worden. In Genua und Venedig hatte er Gemälde gesehen, die ihm seither nicht mehr aus dem Sinn gingen. Besonders das Bildnis der Schlummernden Venus, das ein gewisser Giorgione geschaffen hatte, hatte es ihm angetan. Was für eine Komposition, welche Harmonie der Farben und welche Vollendung in der Ausführung! Damals hatte ihm sofort Anahid vor dem inneren Auge gestanden, sozusagen als dunkle Schwester dieser Lichtgestalt, die nackt auf weichen Moospolstern ruhte, und er hatte umgehend eine erste Skizze angefertigt. Seither jedoch quälten ihn Bedenken. Er glaubte nicht, jemals an die Meisterschaft des Venezianers heranreichen zu können. Mehr noch, mittlerweile war er fast sicher, nicht einmal den eigenen Ansprüchen genügen zu können, obwohl er bereits das eine oder andere Bildnis zu recht ordentlichen Preisen verkauft hatte. Den portugiesischen Beamten gefielen seine kleinen Landschaftsbilder, die sie in die Heimat schickten, damit man sich dort etwas unter Al-Maghrebija, dem Land im Westen oder, wie man hier lieber sagte, dem Land am Sonnenuntergang vorstellen konnte. Auch zwei Porträts
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