Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
möglich sein? Warum nicht, dachte sie ein wenig trotzig. Er sah ja auch immer noch fast genauso aus wie damals, mit seinen schönen Locken, den ausdrucksvollen Augen und feingliedrigen Händen.
Was tat er eigentlich hier an dieser Küste? Miguel hatte zwar einen Freund erwähnt, doch ausgerechnet Cornelisz? Woher kannten sie sich? Und wieso wusste er so gut über die Einzelheiten des Berberangriffs Bescheid? Vielleicht hatte er sich ja doch geirrt, und sie flohen ganz umsonst aus Mogador … Sobald sie sich jedoch Hadithas Hasstiraden in Erinnerung rief und ihre Stimme, die geradezu triumphierend gebebt hatte, wurde ihr klar, dass Cornelisz nicht übertrieb.
All dies konnte Mirijam kaum begreifen. Eines jedoch verstand sie: Erneut warf das Schicksal sie aus der Bahn, und wieder befand sie sich mit ihrem Abu auf der Flucht. Warum mussten sie heimlich wie Diebe durch dunkle Gassen schleichen, wachsam und jedes verräterische Hundegebell fürchtend? Wie entwürdigend für einen gütigen Menschen wie den Abu. Obwohl weder er noch sie sich etwas vorzuwerfen hatten, saßen sie hier auf diesem winzigen Boot zusammengepfercht und mussten um ihr Leben fürchten.
Sollte sie denn niemals irgendwo heimisch werden und in Ruhe leben und arbeiten können? Dabei hatte sie angenommen, sie würde für immer in Mogador leben, wo sie sich geborgen fühlte. Sie kannte jede Gasse, jedes Haus und jeden Winkel, und die Menschen vertrauten ihnen ihre Freuden und Sorgen an. Auch der Abu fühlte sich in der kleinen Hafenstadt wohl. Jahrelang hatten sie beide den Menschen geholfen, hatten ihre Leiden gelindert und hin und wieder sogar ein Leben gerettet. Als es nun jedoch darauf ankam, hatte niemand sie vor den Sa’adiern , vor deren Fremdenhass und dem bevorstehenden Angriff gewarnt! Warum nicht? Ob es daran lag, dass sie allein, ohne Familie und ohne den Rückhalt eines einflußreichen Stamms hier lebten? Bei den Berbern spielte die Familie eine wichtige Rolle, sie verließen sich blind auf die Loyalität und Unterstützung ihrer Verwandten … Doch aus welchem Grund auch immer man sie nicht gewarnt hatte, eines stand fest: Sie waren den Leuten von Mogador offensichtlich gleichgültig. So einfach war das. Und so bitter.
Unter ihren geschlossenen Augenlidern stahl sich eine einzelne Träne hervor und lief über die Wange. Trotzig wischte Mirijam sie fort. Sie wollte nicht weinen. Ihr war kalt, während gleichzeitig die verbrannten Beine unter den Verbänden glühten und pochten, aber Schwäche zeigen kam nicht in Frage.
Der Kapitän deutete voraus, und Mirijam erkannte, dass sie inzwischen die Purpurinseln umschifft hatten und den geschützten, küstennahen Bereich verließen. Der Seegang wurde heftiger, denn jenseits der Inseln lag das offene Meer.
Im böigen Wind tanzte das Boot durch die mondlose Nacht, und obwohl man kaum etwas erkennen konnte, hörte und roch Cornelisz das Meer nur zu gut. Er umklammerte die Reling und versuchte, die Bootsbewegungen auszugleichen. Er konnte einfach nicht begreifen, wie sich Fischer bei Nacht auf dem Meer zurechtfanden. Was für eine Tollheit, diese nächtliche Fahrt. Natürlich konnte man den alten Mann schlecht über die Berge tragen, aber Felsen, Sand und harte Steine unter den Füßen wären ihm allemal lieber gewesen. Wie er es hasste, das Meer! Eines Tages, dessen war er sicher, würde es kommen und ihn holen, wie es immer wieder Schiffe und Menschen verschlang, wie es auch die Männer der San Pietro mitsamt seinem Vater und allem, was es zu fassen bekam, in die Tiefe gerissen und vernichtet hatte. Nicht einmal auf den Malgrund ließ es sich bannen, jedenfalls nicht von ihm!
Der Wind peitschte ihm einen Zipfel seines chêche ins Gesicht. Der kurze Schlag schmerzte wie ein Backenstreich, brachte ihn jedoch zur Besinnung. Anders als bei der damaligen Unglücksfahrt segelten sie jetzt in einem Kahn ohne nennenswerten Tiefgang, sagte er sich, irgendwelche Klippen konnten ihnen also kaum gefährlich werden. Außerdem war der Kapitän hier zu Hause, und das war ein entscheidender Vorteil.
Cornelisz löste die verkrampften Hände von der Reling, ließ sich neben Mirijam auf den Planken nieder und legte wortlos den Arm um sie. Er spürte, wie sie den Kopf an seine Schulter legte und die Finger in seinem Umhang vergrub. Unwillkürlich zog er sie enger an sich, dann schloss er die Augen.
Das Wiedersehen mit Mirijam hatte ihn unerwartet stark berührt. Wenn er sie ansah, stand plötzlich die
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