Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Islam liebte und aus Überzeugung nach dessen Lehren lebte!
Im Gesicht des alten Arztes regte sich jedoch weder Verärgerung noch Erstaunen. Nichts. Seine Augen waren zur Hälfte geschlossen, sie schienen in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Seine Finger tasteten suchend auf der Decke umher. Mirijam ergriff seine Hand und streichelte sie tröstend. Er murmelte etwas, und Mirijam beugte sich vor. Vielleicht brauchte er etwas?
» Allah sei mit dir«, das war alles, was sie verstand.
Anschuldigungen wie die des marabout waren wie pures Gift. Was jemand aus Hass verspritzte, dessen konnte man sich kaum erwehren. Aber sobald er wieder auf den Beinen war, würde der Abu es diesem fremden Prediger schon zeigen. Alî el-Mansour würde sich klug und weise wie immer verhalten, würde sich dieser ungeheuerlichen Anklagen erwehren und die Dinge richtigstellen.
Cornelisz sprach inzwischen mit gesenktem Haupt weiter, entschlossen, nichts auszulassen, und sei es noch so unangenehm. » Wie gesagt, das sind nicht meine eigenen Worte, Sherif! Der marabout wirft Euch ferner vor, Ihr betriebet schwarze Magie, wäret mit bösen Geistern im Bunde, und was weiß ich noch alles. Eure zahlreichen Heilerfolge, aber auch Eure geschäftliche Fortune und nicht zuletzt Euer Wohlstand können schließlich, so sagte der marabout, nur mit Hilfe dunkler Mächte zustande gekommen sein. Ihr erhebt Euch gegen die Kräfte der Natur, und nach seiner Überzeugung müsst Ihr mit dem Teufel im Bunde sein, Euer Erfolg sei der eindeutige Beweis.«
Mitleidig blickte Cornelisz Mirijam an, deren Augen sich vor Entsetzen geweitet hatten. Sie wusste, die Anschuldigung, jemand sei mit bösen Mächten im Bunde, fiel gerade bei einfachen Leuten auf fruchtbaren Boden, die solche Geschichten besonders bereitwillig glaubten. Aber wie sollten sie auch verstehen, dass ein suchender, forschender Geist aus eigener Kraft imstande war, manch einem Geheimnis auf den Grund zu gehen und scheinbar Unerklärliches zu enträtseln? Ein raffinierter Prediger hatte leichtes Spiel, wenn er die Ängste vor den so genannten bösen Mächten zu schüren wusste. War das der Grund, warum die Leute von Mogador sie nicht gewarnt hatten?
Doch der Hakim schien auch diesen Vorwurf gelassen zu ertragen und enthielt sich jedes Kommentars.
» Ja«, nickte Cornelisz abschließend. » Das ist es, was der marabout den Kriegern einredet. Ich hatte den Eindruck, sie glaubten ihm jedes Wort.« Stille senkte sich über die kleine, dunkle Hütte. Der alte Gelehrte lag reglos auf seinem Lager zwischen Decken und Kissen und starrte vor sich hin. Das Kind in ihrem Leib regte sich, und unwillkürlich legte Mirijam die Hände schützend vor ihren Körper. Warum entgegnete Abu Alî nichts? Er müsste doch Einspruch erheben, derartige Anschuldigungen konnte niemand auf sich sitzen lassen. Aber vermutlich sammelte er bereits Gegenargumente, die er bei passender Gelegenheit, sobald es ihm besser ging, ins Feld führen würde.
Mirijam hielt sein Schweigen allerdings kaum noch aus. » Dieser Sîdi Mokhbar ist doch vollkommen unwichtig, Abu, soll er reden, was er will!«, meinte sie aufgebracht. » Du musst jetzt wieder gesund werden, das ist das Allerwichtigste. Dann aber, wenn es dir besser geht, wirst du ihm schon zeigen, was du …« Sie beugte sich über ihren alten Vater. Ein dünner Faden Blut klebte im Winkel seines Mundes. Mirijam erschrak. Sie griff nach einem Tuch, um das Blut zu entfernen.
Es dauerte eine Weile, bis ihr dämmerte: Abu Alî war tot.
67
» Abu, lieber Abu, sag etwas, ich flehe dich an!«
Doch nichts regte sich im Gesicht des Toten, kein Zucken, kein Wimpernschlag oder sonst ein Zeichen, dass er sie gehört hätte. Einzig die Schatten unter seinen Augen vertieften sich. Eben noch hatte er mit ihr gesprochen, hatte sich sogar für Cornelisz’ Bericht interessiert – und jetzt sollte er tot sein? Sie hatte nichts gespürt, wie konnte seine Seele seinen Leib verlassen haben? Mirijam legte ihr Ohr auf seine Brust, tastete nach dem Puls am Hals – nichts.
» Lass mich nicht allein!« Ein Schrei löste sich aus ihrer Brust, der die Menschen draußen erschreckt innehalten ließ. Mirijam weinte und schluchzte, streichelte die Hände und das stille Gesicht ihres Abu, doch er war nicht mehr da. Sie kniete neben ihm und klagte und konnte nicht damit aufhören. Immer wieder strich sie über sein Gewand, die Decken und die Kissen und nahm seine Hände, während ihr die Tränen übers Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher