Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
liefen.
Erst als Cadidja mit den Frauen des Dorfes kam, ihr behutsam aufhalf und zu ihrem Lager geleitete, als die Klagegesänge ertönten und der Imam mit dem weißen Totenlaken erschien, erst da ergab sie sich. Während sich die Leute des Dorfes um den Toten kümmerten, ihn wuschen, in weiße Tücher kleideten und schließlich aus der Hütte trugen, um ihn in ein Grab zu legen, vergrub sie sich unter der Decke und krümmte sich wie ein kleines Kind.
Cornelisz kauerte neben ihr und streichelte ihre zuckenden Schultern. Mirijam jedoch stieß seine tröstende Hand beiseite. » Es ist deine Schuld, du und deine ungeheuerlichen, absurden Gerüchte! Warum musstest du ihm davon erzählen? Du wusstest doch, wie krank er war«, weinte sie. Dann zog sie die Decke über den Kopf. Wie gut es tat, einen Schuldigen gefunden zu haben.
Die Worte eines hasserfüllten Dummkopfs waren das Letzte, was er auf dieser Welt gehört hatte – was für eine Kränkung für diesen guten und klugen Menschen! Wenn sie Cornelisz gehindert hätte, die Verleumdungen des Hasspredigers zu wiederholen, vielleicht wäre ihr Abu noch am Leben? Zugleich aber wusste die Heilerin in ihr, dass seine Erkrankung bereits vor ihrer nächtlichen Flucht weit fortgeschritten gewesen war. Vermutlich hätte er auch in Mogador – trotz guter Pflege und Ruhe – schon bald für immer seine Augen geschlossen. Aber dort hätte er wenigstens nicht derartig boshafte Lügen hören müssen …
Geschwächt und elend in ihrem Kummer überließ sie sich in den nächsten Tagen Cadidjas Fürsorge. Diese schirmte sie vor den neugierigen Augen der Dorfbewohner ab, brachte ihr Wasser und Tee, wusch ihr Gesicht und Hände, bürstete ihr Haar und murmelte tröstende Worte. Sie bewachte die Tür und ließ niemanden zu ihr.
Am dritten Tag ließ sich Cornelisz jedoch nicht länger abweisen.
» Mirijam?« Er spähte ins Halbdunkel der Hütte. Draußen war es sonnenhell, und seine Augen mussten sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Endlich entdeckte er die junge Frau, die auf ihrem Lager saß, die Hände im Schoß verkrampft, und bei seiner Stimme müde den Kopf hob. Er erschrak.
Eingefallen und grau wie eine alte Frau wirkte Mirijam, als besäße sie weder Willen noch Mut oder Kraft. Ein Bild der Hoffnungslosigkeit. So, in dieser Haltung und mit diesen Farben müsste man Verzweiflung malen, durchzuckte es ihn. Dieser kraftlose Nacken, die hängenden Schultern und die Düsternis der Umgebung – eine perfekte Vorlage.
Energisch rief er sich zur Ordnung. Dies war keine Allegorie der Trauer, sondern Mirijam, ein Mensch aus Fleisch und Blut, der litt. Eigentlich kannte er sie nach den langen Jahren der Trennung nicht mehr wirklich gut, aber dass sie willensstark war, hatte er die letzte Zeit beobachten können. Sie nun derart gebrochen zu erleben, war ihm fast ein wenig unangenehm. Doch sie würde schon wieder auf die Füße kommen, beruhigte er sich, er musste nur ein bisschen Geduld haben. Ihre Schuldzuweisungen am Totenbett des Hakim s hatten ihn zwar schockiert, zugleich hatte er sie jedoch keinen Augenblick ernst genommen. Sie selbst bereute ihre bösen Worte vermutlich längst. Jetzt ging es darum, sie aus dieser dunklen Höhle zu locken. Außerdem langweilte er sich allein, dieses armselige Dorf bot noch weniger Abwechslung als das Lager der Berberkrieger.
» Komm mit nach draußen«, bat er. » Wir wollen den Wind spüren und die Sonne. Außerdem gibt es entzückende junge Ziegen im Dorf, die musst du sehen. Gib mir deine Hand, ich führe dich. Nur ein paar Schritte, um meinetwillen.«
Und tatsächlich ließ sich Mirijam von ihm auf die Füße ziehen. Sie zitterte vor Schwäche, klammerte sich an ihn und lehnte die Stirn gegen seine Brust.
Cornelisz drückte sie an sich und gab ihr einen Kuß aufs Haar. Wie verführerisch sie ihm in ihrer Schwäche auf einmal erschien! Ihm stockte der Atem, als er auf sie niederschaute und die Makellosigkeit ihrer Haut sah, die feine Zeichnung ihrer Augenbrauen und die Schatten ihrer geschwungenen Wimpern auf den Wangen. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm.
Mirijam hob den Kopf und blickte ihm in die Augen, ein wenig erstaunt. Er beugte sich über sie und wollte sie schon auf den Mund küssen, doch da löste sie sich aus seinen Armen. Unsicher blickte sie ihn an.
Verlegen trat Cornelisz einen Schritt zurück und bückte sich nach ihrem Schleier. Was, zum Teufel, war plötzlich in ihn gefahren? Ahnte sie, was er im Sinn gehabt hatte? Er
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