Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
ihm vielleicht etwas angetan? Es passte nicht zu Miguel, sie so lange ohne Nachricht zu lassen. Andererseits musste sie natürlich die Entfernung nach Antwerpen bedenken, und dann die Zustände hier im Land, zudem kannte niemand ihren Zufluchtsort hier… Oder sollte sie sich besser auf den nächsten Schicksalsschlag vorbereiten?
68
Es verursachte Mirijam Magenschmerzen, auch noch Cornelisz ziehen lassen zu müssen, und so verkroch sie sich lieber in ihrer Hütte, als ihm nachzusehen. Er verließ das Dorf im ersten Morgenlicht Richtung Santa Cruz. Wenn alles gut ging, wollte er in spätestens vier Tagen wieder zurück sein.
Mirijam blies über ihren Tee, um ihn abzukühlen. Sie spürte, der Zeitpunkt für eine Entscheidung war gekommen. Unabhängig davon, welche Nachrichten Cornelisz mitbrachte, wollte sie sich bis zu seiner Rückkehr über Grundsätzliches klar geworden sein. Sie drückte Cadidja ein paar Münzen in die Hand, um Essen und Brennholz zu kaufen. Cadidja meinte es gut mit ihr, manchmal aber wurden ihr ihre Fürsorge und Anhänglichkeit zu viel. Zum Nachdenken brauchte sie Ruhe.
Doch schon bald kehrte die junge Frau mit nur zwei kleinen Eiern zurück. » Hast du nichts zum Heizen mitgebracht? Es ist kalt heute.«
» Ich habe kein Holz bekommen.« Cadidja bemühte sich, ihre Beschämung nicht zu zeigen. » Sie haben selbst nicht genug, sagen sie.«
» Und zum Essen auch nichts? Wir wollen es ja nicht geschenkt haben!« Bisher hatte ihre Versorgung recht gut geklappt, in den Truhen befand sich schließlich Geld im Überfluss.
» Das ist es nicht, Lâlla, und meine Mutter hilft uns sicher weiter, sogar ohne Bezahlung. Aber die Fischer können bei dem Wetter nicht ausfahren, die Hühner legen schlecht, die letzte Getreideernte war mager, und der Dorfälteste sagt, von Eurem Geld wird er nicht satt, das kann er nicht beißen!«
» Und die anderen meinen das auch?«
Cadidja war den Tränen nahe, als sie zögernd nickte. » In der Winterzeit haben sie es schwer.« Sie kauerte vor Mirijam und blickte forschend in das Gesicht ihrer jungen Herrin. War wirklich so etwas wie Leben in die Augen ihrer Lâlla zurückgekehrt? In den letzten Wochen hatte sie eher wie eine Schlafwandlerin gewirkt, doch was sie nun sah, ermutigte sie. » Es stimmt«, fuhr sie daher fort, » alles ist knapp. Mein Dorf ist ein armes Dorf. Dennoch haben meine Leute Euch nicht abgewiesen, als Ihr Hilfe brauchtet, sie haben sogar den Hakim in ihre Erde gebettet. Aber nun, nach bald fünf Wochen, die wir schon bei ihnen leben, befürchten sie, Ihr wollt vielleicht bleiben und womöglich auch Euer Kind hier zur Welt bringen. Dafür aber reichen ihre Vorräte nicht, das sagt selbst meine Mutter. Außerdem, sagt sie, Euer Lebenswandel …« Cadidja errötete.
» Mein Lebenswandel? Was meinst du damit?«
» Euer Begleiter, Lâlla, versteht Ihr denn nicht? Sîdi Cornelisz, er ist doch weder Euer Bruder noch Euer Vater, er ist nicht Onkel oder Vetter und auch nicht Euer Ehemann.«
Mirijam errötete bis zu den Haarwurzeln. Im Dorf sprach man über sie und monierte ihren Lebenswandel? Wie stets in den vergangenen Wochen, wenn ihr alles zu viel wurde, legte sie sich auf ihr Lager und zog die Decke bis zum Kinn. Fünf Wochen, ging ihr durch den Kopf, bevor sie einschlief, vor fünf Wochen war der Abu gestorben. Aber vor fünf Wochen war auch Cornelisz zu ihr gekommen …
» Verscheuche deine Angst und fass Vertrauen zu dir! Du bist tapfer, klug und stark wie kaum eine andere …« – Mirijam fuhr mit einem Ruck in die Höhe und spähte in die Dunkelheit der Hütte. Doch außer Cadidja, die wie immer auf ihrer Matte vor dem Bett schlief, war niemand da. Wer also redete mit ihr? Wer sagte, sie sei tapfer, klug und stark? Sie war nicht tapfer und schon gar nicht klug, das genaue Gegenteil war der Fall!
Plötzlich fiel es ihr ein: Das waren die letzten Worte ihres Abu, so hatte er zu ihr gesprochen, bevor er starb. Ihr Herz schlug, als sei sie sehr schnell gerannt. Diese Worte, diese Stimme: War es eine Ermahnung aus der anderen Welt? » Ach Abu, lieber Abu, was soll ich denn bloß tun?«, flüsterte sie in die Dunkelheit. Doch alles blieb still.
Der Abu hatte sie verlassen, Miguel weilte in der Ferne, und auch Cornelisz war fort. Sie war auf sich gestellt. Und als habe ihr diese Verlassenheit den Schleier von den Augen genommen, erkannte sie plötzlich: Nichts würde sich von selbst regeln, sie musste ihr Leben in die eigenen Hände
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