Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Durchgefroren kehrte sie zurück in die Hütte, als gerade die blasse Wintersonne am Horizont erschien. Einen Schluck kalten Tee gab es noch, und durstig leerte sie den Becher. Der Tee schmeckte herb, denn es gab keinen Honig, ihn zu süßen. Eigentlich schmeckte er wie ihr Leben: erdig, ein wenig bitter, stark.
Am nächsten Abend kehrte Cornelisz zurück. Schon von weitem winkte er, und als er näher heran war, rief er Mirijam zu: » Es ist bereits seit Tagen überall ruhig, alles ist vorbei und beim Alten! Die Sa’adier haben sich zurückgezogen. Sie tun mir leid, aber Gott sei gepriesen, wir können endlich zurück.«
Mirijam lächelte. » Schön, dass du wieder daheim bist.«
» Daheim? Oh nein«, rief Cornelisz, packte Mirijam und hielt sie fest. » Oh nein, hörst du denn nicht? Alles ist wie früher. Der Spuk ist vorüber, wir können zurückgehen!«
Welche Erleichterung aus den Worten des Freundes sprach. Sie hatte es sich zwar bereits gedacht, dennoch fragte sie nach: » Du willst zurück? Hast du keine Bedenken, weil du so lange Zeit bei den Sa’adiern verbracht hast?«
» Natürlich will ich zurück, du etwa nicht? Ich werde einfach sagen, sie hätten mich gefangen gehalten, das wird man mir schon glauben.«
» Es wäre aber nicht die Wahrheit!«
» Stimmt, das ist es nicht. Aber ich bin eben kein Mann der Wüste, und das werde ich auch niemals sein. Also kehre ich zurück zu den europäisch denkenden Menschen. Dort kenne ich mich aus, bei ihnen zähle ich etwas, auch, oder besser gesagt, besonders durch meine Arbeit. Ich für mein Teil werde versuchen, genau dort weiterzumachen, wo ich aufhören musste: dem Porträt des Gouverneurs. Was ist mit dir? Möchtest du mit mir gehen?« Seine Augen blitzten unternehmungslustig.
Mirijam betrachtete den schönen jungen Mann, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
8. TEIL
MIGUELS RACHE 1527 – 1528
69
Ein Lächeln lag auf dem Gesicht des Kapitäns, während seine Augen über Schiff und Segel, Wellen und Horizont glitten und den Kurs überprüften. Tief sog er die Salzluft in seine Lunge. Was für harmonische Bewegungen sein Schiff vollführte, und wie sanft es über die Wellen glitt! Alles lief bestens. Zufrieden rieb er die Hände, dann hob sich sein Blick zur portugiesischen Küste. Kleine Häuser mit roten Dächern, ein paar auffällige Prunkbauten und eine neue, himmelstürmende Kathedrale schmiegten sich an die staubig braunen Hänge. Die kahlen, baumlosen Erhebungen rund um die alte Fischerstadt wirkten von hier aus beinahe genau so unwirtlich und öde wie die der marokkanischen Küste.
Zum ersten Mal, seit er vor vielen Jahren als abenteuerlustiger, junger Spund zur See gegangen war, würde er heute wieder einen portugiesischen Hafen anlaufen. Damals hatte er nichts vorzuweisen gehabt als Tatendurst und Entdeckerfreude, heute hingegen kam er als gemachter Mann mit seinem eigenen Schiff in die alte Heimat zurück. Am liebsten wäre er unter Fanfarenklängen und rauschenden Segeln in den Hafen eingelaufen. Alle sollten sehen, er hatte es geschafft!
Stattdessen befahl er jedoch die übliche Vorgehensweise: Signalflaggen wurden gesetzt, die Segel eingeholt und behutsam die Mole umrundet, bis er das Hafenbecken vor sich hatte und einen Ankerplatz suchen konnte.
Überrascht stellte er fest, dass sie dazu keineswegs lange suchen mussten. Bis auf ein paar alte Fischerboote war das Hafenbecken leer, man sah weder Fracht- noch Handelsschiffe. Beim Näherkommen bemerkte er, dass selbst die Lagerhäuser ihre Tore weit geöffnet hatten und der Wind frei durch ihr blank gefegtes, leeres Innere wehte. Nur an der westlichen Seite, wo von einer Werft Hämmern herüberklang, herrschte reges Treiben.
Miguel ließ sich an Land rudern, um den Hafenmeister aufzusuchen, doch schon nach wenigen Schritten verharrte er. Buchstäblich an jeder Ecke lungerte Bettelvolk herum, in engen Gassen und Winkeln stanken Berge von Unrat vor sich hin, und hinter einer Hafenkneipe balgten sich abgemagerte Kinder mit Straßenkötern um schimmelige Essensreste.
Vorsichtig umrundete er den gröbsten Schmutz. Was für ein Dreck! Wenigstens wehte eine aufkommende Brise den üblen Gestank weg. Er erreichte den Platz vor einer blendend weißen Kathedrale und sah sich um. Nach all dem Elend wirkten die prunkvollen, neu erbauten Patrizierhäuser mit ihren verzierten Fassaden und besonders die hoch aufragende Kathedrale übertrieben, geradezu protzig. Was passierte bloß in dieser Stadt? Der
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