Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
nehmen.
Sie zog ihre Decke um die Schultern und starrte ins Dunkel.
Das Kind in ihrem Leib regte sich, und obwohl es das in den vergangenen Wochen regelmäßig getan hatte, registrierte Mirijam die kräftigen Stöße erstmals wieder deutlich und bewusst. Wie es strampelte und trat! Als wolle es sich mit Nachdruck in Erinnerung bringen.
Vorsichtig, um Cadidja nicht zu wecken, stand Mirijam auf, wickelte sich in ein Tuch und trat vor die Tür. Der Wind hatte sich gelegt, und der Morgen kündigte sich bereits an, doch im Dorf war noch alles ruhig. Eilig schlug sie den Höhenweg ein, der oberhalb der Klippen entlangführte. Er führte ums Dorf herum und war an den Abbruchkanten ein wenig gefährlich. Ein falscher Schritt und sie würde in die Tiefe stürzen. Doch wie hatte die Stimme gesagt? » Verscheuch deine Angst und fass Vertrauen zu dir!«
Mirijam stolperte über einen Stein, der sich unter Gras versteckte, fing sich aber gerade noch. Bislang hatte sie jeden Gedanken daran, was mit Miguel geschehen sein könnte und wie ihr Leben ohne ihn aussah, unterdrückt. Er hätte schon längst zurück sein müssen …
Obwohl ihr dabei die Brust eng wurde, stellte sie sich nun den drängenden Fragen und zwang sich, darüber nachzudenken: Wo sollte sie leben, und wie? Konnte und wollte sie auf Miguel warten? Mehrmals schon hatte sie eine merkwürdige Scheu gefühlt, gründlicher über Miguels Ausbleiben nachzugrübeln, heute aber musste es sein. Mit Cornelisz’ Auftauchen hatte sich, wenn sie ehrlich war, eine neue Situation entwickelt. Sie spürte, wie sich ihm ihr Herz zuwandte, aber ob aus alter oder neu gewonnener Zuneigung, das fragte sie sich.
Endlich war’s heraus, jetzt konnte sie sich des Problems annehmen. Sie empfand es fast wie eine Befreiung! Wie hatte der Abu gesagt? » Du bist tapfer, klug und stark …« Auch wenn davon nicht die Rede sein konnte, sie musste einen Weg finden.
Zwischen Cornelisz und ihr bestand unleugbar eine große Vertrautheit und Anziehung. Aber wollte sie wirklich ihren Kindheitstraum wahr werden lassen und mit Cornelisz durchs Leben gehen? War es das, wonach sie sich sehnte?
Mirijam zwang sich zu einer Antwort.
Ja, es war eine Freude, mit ihm zusammen zu sein, dachte sie, oh ja, ganz gewiss war es das. Ihn ansehen und mit ihm sprechen zu können, war ein Vergnügen, aber mehr auch nicht. Ihr Herz geriet bei ihm niemals wirklich aus dem Takt. War es also vielleicht nicht so sehr der Mann, sondern eher die Erinnerung, die ihr so lieb und teuer war? Dennoch hatte sie sich ein wenig von der Stimmung, die Cornelisz um sich verbreitete, verführen lassen. Liebte denn er sie?
Sie sank auf einen Felsen, zog das Tuch eng um ihre Schultern und blickte auf das Meer zu ihren Füßen. Weiß schäumend strömte und gurgelte es über die Steine, die den Strand tief unter ihr bedeckten, zog sich zurück und wogte erneut heran.
Je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer wusste sie, Cornelisz liebte sie in der gleichen Weise, wie sie ihn liebte: als einen Teil ihrer Kindheit. Wahrhaft lieben aber konnte er wahrscheinlich nur seine Farben. Sein Herz gehörte der Malkunst, der er alles unterordnete … War er selbstsüchtig?
Nein, stellte Mirijam überrascht fest. Sie sah es jetzt ganz klar: Seine Malerei füllte ihn derart aus, dass er für nichts anderes Gedanken hatte oder Gefühle entwickeln konnte. Es wäre ein Fehler, sich ihm ganz und gar anheimzugeben. Jemand wie Cornelisz würde stets eigensüchtig handeln, auch rücksichtslos, schon weil es ihm immer schwerfallen würde, außer für seine Malerei noch für irgendetwas anderes ein Verantwortungsgefühl zu entwickeln. Das wäre gegen seine Natur.
Miguel aber liebte sie als Mann, das wusste sie sicher. Er gab von Herzen, und er tat alles, um sie zu beschützen. Er liebte sie, ohne Einschränkung und Vorbehalt, und falls er je zurückkam, würde er mit der Zeit auch lernen, ihre Eigenheiten zu respektieren. Den Willen, sie zu verstehen, hatte sie vor seiner Abreise jedenfalls bemerkt. Wenn er nur heil und gesund wiederkam …
Und ihr erging es nicht anders. Wenn sie an Miguel dachte, flatterte ihr Puls! Sie liebte ihn und begehrte ihn, und eigentlich hatte sie das schon längst gewusst. Es war ihr lediglich in der letzten Zeit, in der so viel Einschneidendes geschehen war, entfallen.
Sie wusste zwar immer noch nicht, wie sich ihr Leben in Zukunft gestalten sollte, aber eine wichtige Erkenntnis hatte sie immerhin gewonnen.
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