Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
sicher.«
» Unsinn! Schaut gefälligst genau hin. Dort hinüber, zum Donnerwetter, zur Festung! Bin ich denn von lauter Blinden umgeben?« Er schnaubte.
» Habt Ihr vergessen, was Ihr mir versprochen habt?«, sagte eine strenge Stimme hinter ihm.
Der Kapitän drehte den Kopf. Da stand sie im Niedergang, die Alte, die ebenso unnachgiebig wie gewissenhaft seit vielen Wochen über ihn und seine Genesung wachte. Hoch und heilig hatte er ihr versprechen müssen, sich nicht aufzuregen, nur deswegen durfte er sich überhaupt während der Einfahrt an Deck aufhalten.
Pah, sich nicht aufregen – und wie, bitte schön, sollte das gehen, so kurz vor dem Ziel? Seit ihrem überhasteten Ablegen gestern Abend in Mogador hatte er keine ruhige Minute mehr gehabt. Was für ein Schock! Zerstörte Häuser, eine wie gelähmt wirkende Stadt, Trupps bis an die Zähne bewaffneter Soldaten auf Patrouille in den Gassen, einfache Arbeiter, die ihn hinter seinem Rücken verfluchten und ausspuckten, weil auch er Portugiese war. Und das, obwohl der Aufstand schon vor Wochen niedergeschlagen worden war. So schnell es seine Verfassung erlaubte, war er zu Sherif Alîs Haus geeilt. Noch nie, nie hatte sein Herz so schnell geschlagen!
Das Haus war leer, die Zimmer ausgeräumt, und nur der hinkende Mohammed hielt Wache und kümmerte sich um die Pflanzen im kleinen Innenhof. Keine Mirijam!
Mohammed war es gewesen, der sofort nach Hassan geschickt hatte. Und der hatte ihm, graças a Deus, endlich von Mirijams rechtzeitiger Flucht und glücklicher Rettung berichten können. Was für ein Stein ihm vom Herzen gefallen war! » Man sagt, sie lebt in Santa Cruz, Kapitän.« Hassan hatte mit den Schultern gezuckt. » Aber das ist vielleicht nur ein Gerücht. Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur eines: Es ist nicht gut, dass die Kalköfen und die Teppichmanufaktur zerstört sind, überhaupt nicht gut, für niemanden.« Nichts, was ihm im Augenblick gleichgültiger gewesen wäre, solange nur Mirijam in Sicherheit war.
Bei der Erinnerung an seine Sorge um sie brach ihm erneut der Schweiß aus. Miguel wischte sich über die Stirn, und prompt erklang Muhme Gesas mahnendes Räuspern. Widerstand war zwecklos, er hatte ihr nun einmal versprochen, sich unter allen Umständen zu schonen. Also setzte er sich in den Sessel, der schon seit Stunden für ihn an Deck stand, streckte die Beine aus und bemühte sich, gelassen auszusehen.
Immerhin hatte er es einzig Gesas Hingabe und Geduld sowie natürlich den medizinischen Kenntnissen der Antwerpener Beginen zu verdanken, dass er nach dem niederträchtigen Giftanschlag des Advocaten, dieses Mordbuben, überhaupt noch am Leben war. Aber diese Gesa Beeke war schlimmer als jeder Gefängniswärter!
Kein Härchen wagte es, sich unter der gestärkten Haube hervorzuringeln, genau wie sich kein Matrose getraut hätte, in ihrer Gegenwart zu fluchen. Die Männer wuschen sich vor dem Essen sogar ihre Dreckpfoten, weil sie es von ihnen verlangte! Er grinste, als ihm einfiel, dass auch er sich schon so manchen Fluch verkniffen hatte, wenn Gesa in Hörweite war.
Der ewig seekranke Kontorist Joost Medern hingegen liebte die Alte. Mehrmals täglich schaute sie nach ihm, verabreichte ihm magenberuhigende Tees und leichte Suppen und machte ihm die Reise ein wenig erträglicher. Ausgezeichnet, dachte er, denn dann würde Medern schon bald wieder bei Kräften sein und seinen gesamten Schreibkram übernehmen können. Darüber war er heilfroh, auch wenn es ihn einiges an Überredung und einen schweren Beutel gekostet hatte. Nein, schon allein Mederns wegen war diese Frau Gold wert!
Und ehrlich gesagt, was hätte auch er ohne sie während der langen Rückreise getan? Sie hatte ihn gepflegt, sogar gefüttert, hatte ihn ermuntert und sich lange mit ihm unterhalten. Sie war ein wahrer Schatz, auch wenn man das auf den ersten Blick kaum glauben konnte.
» Die Fahne Portugals!«, brüllte der Ausguck in diesem Moment. » Ich kann es sehen, über der Festung wehen die portugiesischen Farben.«
Miguel seufzte erleichtert. » Na also, habe ich’s doch gleich gesagt. Nun aber Tempo, ihr faulen Hunde, damit wir endlich in den Hafen kommen.«
Während die Santa Anna in den Hafen gesteuert wurde, stand die alte Gesa wie schon seit dem Tag, als die afrikanische Küste erstmals aus dem Dunst aufgetaucht war, an der Reling, die Augen unverwandt auf die Stadt und die fremde Landschaft gerichtet. Ihr Gesicht war ruhig, das Herz aber klopfte
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