Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
nichts als hässliche Laute herausgekommen, eher wie das Knurren eines Tieres als menschliche Töne. Irgendetwas schien ihr die Kehle zu versperren, und das musste heraus. Deshalb sammelte sie dauernd ihre Spucke im Mund und schluckte. Auch trank sie häufig Wasser und strich sich, während sie schluckte, über den Hals. Aber so viel sie auch trank und schluckte, nichts hatte bisher geholfen. Oft hatte sie Angst, niemals wieder sprechen zu können. An solchen Tagen, und zwar meistens kurz vor dem Einschlafen, fürchtete sie, verhext oder mit einem Fluch belegt worden zu sein. Hatte sie nicht dabei geholfen, Lucia den Schlaftrunk einzuflößen? Die Flasche mit der Alraune, dieser menschenähnlichen Wurzel, ging ihr nicht aus dem Sinn. Und war nicht sie es gewesen, die ihre Namen verschwiegen hatte, als es um das Lösegeld gegangen war? Sie hatte dem Kapitän vertraut, ausgerechnet dem Kapitän! Bei hellem Tageslicht rückten sich die Dinge meistens schnell wieder zurecht, dann wusste sie, schuldig war nur, wer absichtlich falsch handelte, wer jemandem schaden wollte. Dessen war sie sicher, jedenfalls tagsüber.
Wenn es aber kein Fluch war, der sie ihrer Stimme beraubt hatte, so hatte sie vielleicht doch nur einen Kloß im Hals?
Sie lief ein Stück die Bewässerungsrinne entlang und betrachtete die glitzernden Wassertropfen. Irgendwann hatte sie genug Kraft gesammelt. Sie bohrte die Fersen in die feuchte Erde und weitete die Brust. Tief atmete sie ein, so tief sie konnte, ballte die Fäuste und schloss die Augen.
Und dann schrie sie. Sie schrie mit aller Kraft, so laut und so lange, wie ihre Luft reichte.
Doch das, was aus ihrem Mund kam, war nur ein Krächzen, heiser und röchelnd, fast wie die Klage eines Esels, der die Stille im Garten störte. Mirijam fröstelte plötzlich. Also doch, dachte sie, sie war tatsächlich verflucht.
Am nächsten Tag versammelte die Signora die Frauen, um neue Seife zu sieden. Während sie die nötigen Anweisungen gab, maß sie eigenhändig die verschiedenen Öle ab und teilte die Ingredienzen aus.
Muhme Gesa hatte ihre Seife ebenfalls selbst hergestellt, erinnerte sich Mirijam. Damals durfte sie allerdings höchstens aus großem Abstand zusehen, wie es in den Siedetöpfen brodelte, kochende Seifenspritzer konnten Löcher in Kleider und Haut fressen. Heute hingegen sollte sie mit Hand anlegen. Nachdem die Frauen die gekochte und gründlich gereinigte Asche in heißes Öl eingerührt hatten, beaufsichtigte Mirijam die Töpfe. Sie rührte gleichmäßig und ließ das leise blubbernde Gemisch keinen Augenblick aus den Augen. Es tat gut, eine gewichtige Aufgabe zu haben. Als die fertige Seife in die Formen zum Abkühlen und Trocknen gegossen wurde, zeigte es sich, dass sie besonders feinporig und rein geworden war. Zur Belohnung schenkte ihr die Signora eine Handvoll Mandeln, und zwar von der guten Sorte, die sonst ausschließlich für den Herrn bestimmt war.
Mit diesem Tag änderte sich ihr Leben. Immer häufiger lobte die Köchin sie. Sie war mit ihrer Arbeit zufrieden, manchmal genug, um ihr zur Anerkennung eine Tasse frische Ziegenmilch zu geben, ein paar süße Datteln oder ein hart gekochtes Ei. Im Laufe der Wochen verzichteten auch die anderen Frauen auf ihre Anfeindungen. Sie gewöhnten sich allmählich daran, dass Mirijam fast alles verstand, als Antwort aber höchstens nickte oder mit den Händen gestikulierte.
Eines Abends fragte Fatima: » Willst du mit uns in den Hamam gehen, Azîza? Ich schwöre, hinterher wirst du dich wie eine Sultanin fühlen!« Mirijam kannte das Badehaus gut, oft genug schon hatte sie dort geputzt. Sollte sie es heute tatsächlich erstmals selbst benutzen dürfen?
Als die Sklavinnen sich bis auf ein kleines Tuch um die Hüften entkleideten, senkte Mirijam verlegen den Blick. So viel Haut, so viel Nacktheit! Hinter der Tür zum eigentlichen Bad schlug ihnen heißer Dampf entgegen. In dem hohen Raum brannten lediglich zwei Öllampen, und kleine grüne Scheiben in der Dachkuppel ließen das letzte Tageslicht herein. Wasser rauschte, und die Stimmen der Frauen, die damit begannen, sich mit Handschuhen aus geflochtenen Gräsern am ganzen Körper einzuölen, hallten von den glatten Wänden wider. In mehreren gefliesten Becken gab es Wasser, heißes, lauwarmes und kaltes Wasser, und die Bodenplatten strahlten eine so angenehme Wärme ab, dass sich Mirijam kurzerhand auf die warmen Kacheln setzte und nachahmte, was Fatima und die anderen taten. Auch sie
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