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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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überhängenden Zweigen eines alten Feigenbaumes, träumte unruhig, fieberte und schlief. Jemand hatte eine dicke Decke über sie gebreitet, obwohl es hier im Süden nicht besonders kalt wurde. War sie wach, so empfand sie nichts als Leere und Trauer, doch meistens trieb sie zwischen Schlaf und Wachsein dahin. Einmal hörte sie, wie die Stimme des Hakim erklärte: » Ihre Seele hat sich zurückgezogen. Erst wenn sie zurückkommt, kann sie genesen.«
    Fatima und Aisha, zwei Helferinnen der Köchin, brachten ihr mehrmals täglich Wasser und Essen sowie ein Pulver, das der Hakim speziell für sie angemischt hatte. Mit gesenkten Blicken stellten sie das Essen in der Nähe ab, dann verschwanden sie wieder. Noch nie, nicht einmal in dem Augenblick, als Lucia in jener Gasse verschwand, hatte sie sich derart einsam und verloren gefühlt wie in diesen Tagen.
    Allmählich jedoch nahm Mirijam ihre Umgebung wahr. Statt Kirchenglocken rief hier der Muezzin zum Gebet. Statt feiner Kleider trug man lockere, wadenlange Hemden, und statt auf Stühlen am Tisch zu essen, hockten alle am Boden und griffen mit den Fingern in eine gemeinschaftliche Schüssel. Dieses gemeinsame Essen ging ganz manierlich zu, zumal sich alle vorher in einer beinahe würdevollen Zeremonie die Hände wuschen. Sie beobachtete die anderen Sklavinnen, die schwere Wasserkrüge auf dem Kopf balancierten oder volle Körbe und schwere Säcke herbeischafften. Sie sog den Duft von Hammelfleisch und Gewürzen ein, lauschte den Schimpfkanonaden der Signora und den Gesprächen der anderen Sklaven und lernte so die neue Sprache, eine Mischung aus Französisch, Arabisch und Küchenlatein. Sie sah, dass man Zitronen in Holzfässern mit Salz einlegte, um sie haltbar zu machen. Datteln, Rosinen und Feigen hingegen wurden in der Sonne getrocknet, und die Holzkohle zum Befeuern der Kochstellen lagerte man in einer Ecke des Hofes. Nachts wurden die Tore geschlossen, und die Sklaven holten ihre warmen Decken und bereiteten sich auf dicken Strohmatten im Hof ihr Nachtlager. Nur die Köchin und die Haussklaven wohnten in kleinen Kammern, die rund um den Innenhof gelegen waren.
    Das alles sah sie, und es kam ihr fremd und spannend zugleich vor. Manchmal wünschte sie sich weit fort von hier, manchmal aber hätte sie sich auch liebend gern dazugehörig gefühlt.
    Eines Tages zeigte ihr die Signora, wie die großen Töpfe zu putzen, das Gemüse zu schneiden und Holzkohle herbeizuschaffen waren. Nie zuvor hatte sie derartige Arbeiten getan. Aber wenn sie arbeitete, musste sie weniger an Lucia denken, an Vater oder an die saftig grünen Wiesen an der Schelde …
    Anfangs stellte sie sich nicht besonders geschickt an. Hin und wieder spielten ihr auch die anderen Sklavinnen übel mit. Wer nichts von sich mitteilte und kein Wort redete, der war Außenseiter. Außerdem konnte sie ja auch nichts zu ihrer Verteidigung vorbringen. War also etwas misslungen, schoben die anderen ihr die Schuld zu, fehlte etwas, war angeblich sie es gewesen, die es verloren hatte, und ging etwas zu Bruch, konnte es natürlich nur die Stumme verschuldet haben. Das war so ungerecht, dass sich anfangs in Mirijam alles empörte. Doch wenn sie den Mund geöffnet hatte, um zu protestieren, war nichts herausgekommen. » Seht her, Azîza schnappt nach Luft wie ein Fisch im Sand«, hatten die anderen gelacht.
    Man hatte ihr den Namen Azîza gegeben. Auch das würde sie ertragen lernen.

18
    Während der großen Mittagshitze wurde sie in den Oasengarten geschickt, um frische Kräuter zu holen. Im duftenden Halbdunkel unter hohen Palmen sprang Mirijam über kaum fußbreite Wege und schmale Bewässerungsrinnen. Die Kräuter waren bald gepflückt und zu einem aromatischen Strauß zusammengefasst. Danach schöpfte sie Wasser aus dem Graben und löschte ihren Durst, wusch Gesicht und Hände und benetzte ihr Kräutersträußchen, damit es frisch blieb.
    Aufmerksam schaute sie sich um und lauschte. Niemand zu sehen, dachte sie, Menschen und Tiere ruhten. In der Hitze breitete sich der Duft von Minze und Koriander aus, und im Sonnenlicht, gefiltert durch das Blätterdach der hohen Palmen, funkelten die winzigen Wassertropfen, die sie verspritzt hatte, wie Edelsteine. Und wenn sie jetzt, da sie unbeobachtet war, einmal so laut zu schreien versuchte, wie sie nur konnte? Vielleicht wurde sie dadurch den Kloß, der in ihrem Halse stecken musste, endlich los?
    In der Kasbah hatte sie es ein paar Mal im Geheimen versucht, aber es waren

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