Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
gebracht und zugleich die Ausgaben des großen Haushaltes drastisch reduziert hatte. Das oberste Stockwerk des Hauses wurde geschlossen, die Dienerschaft auf zwei verkleinert, und der Advocat richtete sich in einer bescheidenen Kammer ein. Anhand dieser Maßnahmen konnte nun wirklich jeder sehen, hier agierte ein sparsamer, verantwortungsvoller Mann, der ein Auge auf das ihm anvertraute Erbe hatte, ein Mann von Ehre, trotz seiner jüdischen Herkunft. Kaufmann van Lange, Cornelisz’ Vater, der sich wie andere Kaufleute der Stadt zunächst vorsichtig und abwartend gezeigt hatte, hatte seinen Sohn daraufhin demonstrativ dem Advocaten zur Lehre übergeben.
Als Cornelisz an diesem Abend sein Schreibpult schloss, um den Heimweg anzutreten, nahm er wie meistens den Weg durch den Hafen. Er liebte die Gerüche hier – von dem Brackwasser des Flusses, von Fisch und Teer und den fremdländischen Hölzern aus den Lagerschuppen. Die Nacht hatte bereits alle Farben aufgesogen, und schwarze Schatten breiteten sich in jedem Winkel aus. Während die Fenster der Bürgerhäuser vereinzelt von Kerzen erleuchtet wurden, flackerten in den Kneipen Talglichter und Ölfunzeln, die mit ihrem blakenden Licht durch offenstehende Türen Gäste von draußen hereinlocken sollten.
Cornelisz trat ein Bündel nasses Stroh aus dem Weg. Wieder lag ein unnützer, verlorener Tag hinter ihm, und er wusste, dass eine nicht enden wollende Folge weiterer solcher Tage auf ihn wartete. Tage, Wochen und Monate, in denen er lernen sollte, Fässer zu kontrollieren, Säcke und Ballen zu registrieren, auf Messen Waren zu präsentieren und über Preise zu feilschen, um schließlich Münzen zu zählen und den Gewinn auszurechnen, kurzum: Geschäfte zu machen. Das war es, was ein künftiger Handelsherr lernen musste. Angewidert wischte er seine Handflächen am Hosenboden ab, als hätten die imaginären Münzen aus seiner Zukunft bereits jetzt seine Hände beschmutzt. Bis vor wenigen Wochen hatte er sich in der Hoffnung gewiegt, den Vater von seinem Herzenswunsch, Maler zu werden, vielleicht doch noch überzeugen zu können. Der hatte jedoch lediglich ungläubig die Augenbrauen hochgezogen, als Cornelisz all seinen Mut zusammengenommen und sein Anliegen vorgetragen hatte. » Und der Fortbestand unseres Unternehmens? Hast du den Verstand verloren? Du bist mein einziger Sohn, das hast du wohl vergessen! Willst du etwa meinen guten Ruf als Kaufmann aufs Spiel setzen? Bei meiner Seel’, statt weiterhin mit Farben herumzustümpern, wirst du endlich lernen, was ein Kaufmann heutzutage über den Fernhandel wissen muss. Du bist alt genug, und außerdem war das alles längst mit van de Meulen abgesprochen.«
Zunächst hatte Advocat Cohn Cornelisz nicht als Lehrling annehmen wollen und Ausflüchte gemacht, doch der Vater hatte auf der mit dem verstorbenen Kaufherren getroffenen Absprache bestanden.
» Nur vorübergehend«, hatte Cornelisz seinen Vater zu Jakob Cohn sagen hören. » Für ein paar Monate oder vielleicht für ein Jahr. Um ihm endgültig die Flausen aus dem Kopf zu treiben, versteht Ihr? Nehmt ihn nur recht hart ran, umso schneller wird er lernen, wie das wirkliche Leben aussieht.« Bereits am folgenden Tag saß er bei van de Meulen am Pult, wo ihn der alte Kontorvorsteher Antonis Laurens unter seine Fittiche genommen hatte.
Cornelisz zog die Schultern hoch. Die Tage im Kontor waren lang, viel länger als alle anderen Tage, und sie waren furchtbar langweilig. Und wären nicht die anderen Schreiber und Lagerarbeiter gewesen, die seit alters her im Handelshaus van de Meulen arbeiteten, ihn schon sein Leben lang kannten und ihn wie selbstverständlich in ihrer Mitte aufgenommen hatten, so wären sie vollends unerträglich gewesen. Er seufzte erneut. Seine wachen Stunden bestanden nun aus nichts als Zahlen. Stund’ um Stund’ Kolonnen von leblosen Zahlen, die er von einem Heft in ein anderes übertragen musste, bis sich die Feder sträubte und die Hand erlahmte. So sollte sein Leben aussehen? Aber gegen seinen Vater kam niemand an, er schon gar nicht.
Dennoch würde er niemals die Hoffnung aufgeben, eines Tages bei einem Maler in die Lehre zu gehen.
Neben der Langeweile, die mit dem nutzlosen Abschreiben alter Aufstellungen verbunden war, kam es ihm merkwürdig vor, jeden Morgen in dieses Haus zu gehen, das nach dem Tod des Hausherrn und vor allem ohne Lucia und Mirijam seltsam unbelebt, geradezu fremd wirkte. Sogar die alte Muhme Gesa, die ihn bis vor
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