Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
wenigen Tagen manchmal zu einer kleinen Handreichung in Haus und Garten ausgeliehen und damit für ein wenig Abwechslung gesorgt hatte, war plötzlich verschwunden. Sie habe sich in ein Häuschen am Stadtrand zurückgezogen, hatte der Advocat auf Nachfrage erklärt. Merkwürdig, dass sie ihm gegenüber nichts dergleichen angekündigt hatte. Aber das passierte ja nicht zum ersten Mal, überlegte er. Auch Mirijam hatte ihn ohne ein Wort verlassen.
Er vermisste seine kleine Freundin, die bei all ihrer Kindlichkeit immer zu ihm gehalten, gut zugehört und seine Liebe zur Malerei verstanden hatte. Seit dem Tod seiner Mutter hatte er nur Mirijam gehabt, wenn er mit jemandem über seine Malversuche hatte sprechen wollen. Natürlich hatte sie nicht wirklich verstanden, was genau ihn antrieb, aber sie hatte sich wenigstens bemüht, seinen Erklärungen zu folgen. Außerdem hatte sie ihn bewundert, geradezu angehimmelt, und wenn ihn das auch manchmal verlegen gemacht hatte, hatte es ihm im Grunde doch gutgetan. Niemand sonst lobte und unterstützte ihn!
Und während Lucia und Mirijam nun sicher längst im sonnigen Granada umherspazierten und sich ihres Lebens erfreuten, durfte er nicht einmal mehr malen. Wenn er nur wüsste, wie sich Vater umstimmen ließe.
Doch nicht nur wegen des Malverbotes war sein Dasein als Lehrjunge im van-de-Meulen-Kontor eine Qual. Bis vor kurzem hatte er den Advocaten für einen klugen, gebildeten Mann gehalten und zu ihm aufgesehen. Diese Bewunderung hatte sich in letzter Zeit allerdings mehr und mehr verflüchtigt. Advocat Cohn war nicht nur kühl und wortkarg, er hatte außerdem eine Art, ihn von oben herab anzuschauen, aus diesem hohlwangigen Gesicht mit den tief liegenden, schwarzen Augen, dass er sich unweigerlich fehl am Platze und überflüssig fühlte. Irgendwie schüchterte er ihn ein. Im Gegensatz zu anderen jüdischen Kaufleuten und Handwerkern nahm der Advocat nie an den Versammlungen in der Synagoge teil, wie man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte. Cornelisz zuckte mit den Schultern. Dachte er etwa bereits wie die anderen Leute? Interessierte er sich schon wie sie für ödes Gerede und Klatsch? Dabei fürchtete er kaum etwas so sehr, wie selbst engstirnig zu werden.
Bewundernd schaute er auf die Kathedrale, deren zum Himmel strebende Türme vor dem Nachthimmel gerade noch zu erkennen waren. Wenn sich das wirkliche Leben tatsächlich ausschließlich um Geschäfte und Verträge, um Waren und Gewinne drehte, wo blieben dann die Schönheit und die Künste? Diese Kirche war das beste Beispiel dafür, welche Kunstwerke die Dombaumeister und Steinmetze erschaffen konnten. Waren ihre Werke denn nicht ebenfalls Wirklichkeit, sogar um einiges sichtbarer als die schweren, mit Bandeisen bewehrten Holzkassetten voller Florentiner und Dukaten und Taler, oder wie man das Geld auf der Welt noch nennen mochte?
Wenn seine Mutter noch am Leben wäre, würde sie ihn sicher verstehen. Er vermisste sie gerade jetzt, umso mehr, als er wusste, sie hätte sich beim Vater für ihn eingesetzt. Schließlich war sie es gewesen, die ihn schon frühzeitig unterwiesen und angeleitet hatte, die ihm die Werke der großen Maler gezeigt und …
» He, Cornelisz, haste schon gehört?«, riss ihn einer der Schankburschen, der die Gasse vor einem Wirtshaus mit dem Reisigbesen kehrte, aus seinen Gedanken.
Es gehörte zu den Aufgaben der Schankburschen, in der Stunde, bevor durstige Seeleute, ledige Handwerker und der eine oder andere Bürger die Wirtsstuben aufsuchten, alles sauber zu machen. » Is es nicht eine Schweinerei? In der Hölle soll es braten, das gemeine Gesindel.«
Cornelisz nickte kurz und wollte vorübergehen, doch der Bursche hielt ihn auf.
» Weißt es wohl noch gar nicht, das mit den Töchtern vom seligen van de Meulen?« Er stützte sich auf seinen zerfressenen Besen, als richte er sich auf einen langen, gemütlichen Schwatz ein, und forschte in Cornelisz’ Zügen.
» Was soll ich nicht wissen?«
» Na ja, dass die hin sind. Futsch, weg, ab in den Himmel, tot.« Nach dieser Aufzählung gönnte sich der Junge eine dramatische Pause und sog durch eine Zahnlücke zischend Luft ein. Als er Cornelisz’ ungläubigen Blick sah, fuhr er eilig fort: » Korsaren, verstehste? Da unten ist ein Nest von Korsaren, weiß ja jeder, und die haben sich alle Schiffe geschnappt. Fette Beute, sag ich dir, war ja alles voll mit teurem Zeugs. Die Seeleute aus Livorno, drüben am Jordaenskaaj, die haben nämlich
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