Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
gründlich er auch den Horizont absuchte, er entdeckte keinerlei Anzeichen, dass ihnen die Häscher folgten, Allah sei Dank. Sie aßen eine Handvoll Datteln und ritten weiter, bis der Mond aufgegangen war.
In diesem Rhythmus vergingen die Tage und Nächte: reiten, kurze Pausen, Kamele versorgen, reiten, reiten. Und nur wenige Stunden Schlaf. Obwohl der Alte keine Spur von etwaigen Verfolgern bemerkte und er Mirijams zunehmende Müdigkeit sehr wohl sah, hetzte er mit unvermindertem Tempo weiter. Jeden Morgen machte er sich aufs Neue daran, Mirijam auseinanderzusetzen, warum diese Eile notwendig war. » Ich habe dich in diese Lage gebracht, nun muss ich alles tun, dich zu retten. Du kennst den Pascha in seiner Unbarmherzigkeit nicht! Unsere Rettung liegt einzig in unserer Schnelligkeit.« Und in Allahs Hand, dachte er. Deshalb wandte er sich Abend für Abend gen Mekka, um Allahs Hilfe zu erbitten.
Mirijam hatte längst aufgehört, sich Gedanken über ihre Flucht zu machen. Sie verweigerte sich sogar jedem ernsthaften Gedanken an die ungeheuerlichen Vorwürfe gegen den Advocaten, die der Hakim erhoben hatte.
Abgesehen von der Müdigkeit und der Eile, die sie umso übertriebener fand, je weiter sie sich von Tadakilt entfernten, gefiel Mirijam zu ihrer eigenen Überraschung dieses Unterwegssein von Tag zu Tag mehr. Wenn sie in den ersten Morgenstunden nach kurzem Schlaf erneut aufbrachen, fühlte sie sich jedes Mal ein wenig leichter als am Tag zuvor, und es schien ihr, als könne sie ein schlimmes Erlebnis, einen Schrecken nach dem anderen wie Ballast abwerfen und der Wüste überlassen.
Mittags brachte der glutheiße Wüstenwind die hohen Dünen zum Singen. Heimtückisch war dieser Wind, mal überfiel er sie von vorn, dann wieder von der Seite, oder er trieb ihnen in Böen den Sand ins Gesicht. Zweimal stießen sie auf ausgedörrte Gerippe verendeter Kamele, halb vom Sand bedeckt. Dann wieder kamen sie an schwarzen Lavakegeln und roten Granitsäulen vorüber, oder an Riffen, die von der Hitze des Tages und der Kälte der Nacht buchstäblich in Stücke gerissen worden waren.
Sie lagerten im Windschatten einer Sanddüne und wärmten sich am Feuer. Stille umgab sie. Die Kamele ruhten am Rande des Lichtkreises. Das einzige Geräusch war das ihrer mahlenden Zähne und hin und wieder ein Gluckern aus ihren Mägen. Manchmal knisterten die trockenen Äste im Feuer, sonst gab es keinen Laut.
» In Ksar El-Mania, das wir mit Allahs Hilfe schon morgen erreichen werden, können wir uns ausruhen.« Um die Stille nicht zu stören, sprach der Alte mit leiser Stimme. Er klang müde. Mittlerweile schien ihm jeder Schritt Mühe zu bereiten. Er brauchte dringend eine Erholungspause, das verrieten der gebeugte Gang und die tief eingegrabenen Falten in seinem Gesicht.
Doch weder über seine Erschöpfung noch über das Ziel wollte er sprechen, ihn beschäftigte etwas anderes. Er räusperte sich, wie immer, wenn er ein wichtiges Thema anschnitt, und fuhr fort: » Wir müssen etwas besprechen, mein Kind. Der größte Teil unserer Reise nach Mogador liegt noch vor uns, denn erst in vielen Wochen werden wir den großen Ozean erreichen. Wir werden weitere Wüsten und einige hohe Gebirge durchqueren müssen, und das wird hart werden. Deshalb denke ich, wir sollten deinen Namen noch einmal ändern.«
Verblüfft hob Mirijam den Kopf. Bei sich selbst hatte sie ohnehin längst beschlossen, solange sie den fremden Namen nicht selbst verwendete, solange galt die Namensänderung nicht richtig. Und da sie nicht sprechen konnte, blieb sie Mirijam, wie immer die anderen sie auch riefen.
» Glaub mir, so lassen sich viele Dinge vereinfachen«, meinte der Hakim. » Wir werden bald wieder unter Menschen sein, und da wird es weniger auffallen, wenn du nicht als Mädchen, sondern als mein männlicher Begleiter mit mir reist, verstehst du? Wir sollten dich Azîz nennen, habe ich mir überlegt, Azîz Ben el-Mansour, der Sohn des el-Mansour. Hätte Allah mir einen Sohn geschenkt, diesen Namen hätte ich für ihn ausgewählt.«
Beinahe hätte Mirijam gelacht. Wie oft hatte sie sich nicht schon gewünscht, ein Junge zu sein und ohne die lästigen Einschränkungen für Mädchen leben zu können! Und ausgerechnet hier in der Wüste sollte dieser Wunsch in Erfüllung gehen? Zärtlich musterte sie den alten Mann. Wer ihretwegen derartige Strapazen auf sich nahm, der hatte sowieso das Recht, ihr jeden Namen der Welt zuzuteilen, entschied sie.
Daher nickte sie,
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