Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Bint el-Mansour, Azîza, Tochter des el-Mansour, heißen!«
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» Höre, Tochter, von jetzt an steht nicht mehr die Schnelligkeit der Flucht im Vordergrund, sondern unsere körperliche Unversehrtheit«, verkündete Sîdi Alî am Vorabend ihres erneuten Aufbruchs. » Und natürlich das Ziel. Mit Sicherheit liegen gefährliche Pfade und beschwerliche Strecken vor uns, die Natur kann unbarmherzig und feindlich sein. Doch mit Allahs Hilfe werden wir unseren Weg finden.« Seine Worte klangen wie eine Beschwörung gegen Unheil und Gefahr.
Schon bald versanken die Mauern von Ksar El-Mania hinter Dünen und schartigen Felsen. Sie folgten einer alten Karawanenroute, die wichtige Handelszentren und heilige Stätten miteinander verband. Hier würden sie in regelmäßigen Abständen Wasserstellen und Oasen oder gar Dörfer finden, in denen sie rasten konnten.
Mirijam ritt eine der neuen Kamelstuten, ein hübsches Tier mit hellem Fell und großen, dunklen Augen, das jedoch noch eigensinniger war als das vorige. Diese Stute verabscheute es zutiefst, in der Reihe zu gehen. Brachte man sie dennoch dazu, so machte sie einen langen Hals, schlug aus, sprang sogar mit allen vieren gleichzeitig in die Höhe oder biss nach den anderen Kamelen. Es blieb einem nichts anderes übrig, als sie sich ihren eigenen Weg suchen zu lassen.
Längst hatte sich der kühle Morgenwind gelegt, und die Sonne brannte vom Himmel. Mirijam zügelte ihr Kamel und trocknete die Stirn. In diesem Moment wehte ihr eine scharfe Böe ins Gesicht, einer jener seltsamen Winde, die wie aus dem Nichts kamen und wie eine Erfrischung wirkten, wie ein Gruß oder eine Botschaft, jedenfalls etwas, dass aufmerken ließ. Ebenso rasch, wie die kühle Brise aufgekommen war, flaute sie auch wieder ab. In der nun erst recht als glühend empfundenen Hitze dachte Mirijams Kamel anscheinend nicht daran, sich wieder in Bewegung zu setzen.
Harun, der jüngere der beiden Kameltreiber, zeigte ihr, wie sie ihren Kommandos mit einem Pfiff aus gespitzten Lippen und gerollter Zunge Nachdruck verleihen konnte. Für ihn war es befremdlich, dass jemand nicht sprechen konnte, deshalb redete er stets besonders laut, als könne sie nicht gut hören.
» Du weißt wirklich nicht gerade viel über Kamele, Azîz«, brüllte er schon am ersten Tag der Reise. » Jeder Junge muss doch sein Kamel auf einen bestimmten Pfiff abrichten, damit es am Morgen kommt, wenn es über Nacht auf Futtersuche gewesen ist«, erklärte er kopfschüttelnd. » Du musst die Stute darauf trainieren. Außerdem solltest du sie bestechen. Gib ihr jeden Tag ein paar Datteln, und du wirst sehen, schon bald folgt sie dir wie ein Lämmchen seiner Mutter. Sie liebt Datteln.«
Folgsam fütterte Mirijam das Reittier von nun an mit Datteln, und sie rollte ihre Zunge und spitzte die Lippen. Das sah bestimmt albern aus, Harun jedoch konnte auf diese Weise einen schrillen, weithin hörbaren Pfiff zustande bringen. Also übte sie, und mit Haruns Hilfe wurden ihre Pfiffe von Tag zu Tag besser. Mittlerweile erzeugte sie ein Geräusch, auf das ihre Kamelstute zu hören schien, jedenfalls tat sie immer öfter, was Mirijam von ihr verlangte.
Omar, dem zweiten der neuen Begleiter, war ihre Sprachlosigkeit offensichtlich unheimlich. Er kümmerte sich zwar um die Kamele, zu ihr aber hielt er Abstand und schlug sogar die Augen vor ihr nieder. Und wenn er glaubte, sie sähe es nicht, streckte er ihr unauffällig die offene Hand entgegen, als Schutzzeichen gegen den bösen Blick. Hielt er sie etwa für einen Dschinn?
Zunächst würden sie eine lange Wegstrecke in einem Meer von Sanddünen zurücklegen müssen, mit heißen Tagen und kalten Nächten, und allein mit den Sternen als Wegzeichen, hatte Abu Alî erklärt. Erst danach würden sie auf Berge treffen, die sich wie ein Schutzwall zwischen die fruchtbaren Gegenden und die Wüste legten.
Die Tage vergingen in einem ruhigen Gleichmaß. Es war der Rhythmus der Karawanen, wie die beiden jungen Beni Yenni erklärten, ein ruhiger Takt aus Aufbruch und Rast, aus dem Wechsel von Reiten und Zufußgehen. Abends mussten die Tiere versorgt werden, danach lockte die schützende Feuerstelle am Nachtlager und der Schlaf unter dem unendlichen Sternenhimmel.
Meistens saß Mirijam entspannt auf dem Reittier, die nackten Füße auf dessen Hals gekreuzt, und überließ sich der Monotonie der Kamelschritte. Während des Reitens wurde nicht viel gesprochen, und so fiel auch ihr Schweigen kaum auf. Trotz der
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