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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Cramer
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Aber, mein Kind, ich habe dir etwas anderes mitzuteilen. Hör gut zu und überlege sorgfältig.«
    Der alte Hakim räusperte sich umständlich. » Wie du weißt, habe ich keine Nachkommen. Hab keine Angst, Kleines, ich will nicht von meinem Tod sprechen, noch ist meine Zeit nicht gekommen, und mit Allahs Hilfe liegt sie in weiter Ferne. Aber«, begann er und deutete mit einer ausholenden Handbewegung auf die Kisten, Säcke und Packtaschen, die überall herumstanden und schon bald den Kamelen aufgeladen werden mussten, » aber dennoch stellt sich die Frage, wem soll ich eines Tages meinen Besitz hinterlassen, meine Bücher und Sammlungen, die Kasbah und das Dorf? Wer wird nach mir meine Forschungen weiterbetreiben?«
    Über den Tisch hinweg umfasste er Mirijams Hände. In seinen Augen glänzten Tränen. » Du bist jung, du bist klug, vernünftig und gebildet, und bald wirst du meine Arbeit fortsetzen können. Vergiss deine Heimat, Kleines, vergiss alles, was bisher war, und sei mein Kind. Ja, das ist es, was ich mir wünsche: Sei mein Kind.«
    Mirijam starrte ihn verständnislos an. Sein Kind? Was meinte er?
    » Du musst bedenken, die Zeit ist auf deiner Seite, sie ist sozusagen dein mächtigster Verbündeter«, fuhr der Hakim fort. Er hatte alles gründlich durchdacht. » Eines Tages wird der derzeitige Pascha an den Hof des Sultans nach Konstantinopel zurückkehren, und spätestens dann wird dich niemand mehr mit dem Tod bedrohen. Verstehst du? Dieser Pascha stellt eine Gefahr für dich dar, aber ein anderer, der vielleicht keine Geschäfte mit dem Advocaten macht? Keine gemeinsamen Geschäfte bedeutet keine Gefahr für dich, so einfach ist das.« Er rieb sich die Hände, als er das allmähliche Verstehen in ihren Augen erkannte.
    » Was immer zu diesem Zeitpunkt mit mir sein wird, liegt in Allahs Hand, denn ich bin nicht mehr jung«, fuhr er schließlich fort. » Du aber kannst dann nach Tadakilt zurückgehen, und zwar als meine Tochter und Erbin. Du wirst die Kasbah mitsamt der Oase übernehmen können, wirst dein Auskommen haben und in Sicherheit leben.«
    Er fuhr sich über die Augen. Persönliches preiszugeben fiel ihm schon immer schwer, und umso mehr, wenn ihm etwas derart naheging wie Mirijams Schicksal.
    » Es werden noch Jahre vergehen, bis du gefahrlos nach Antwerpen zurückkehren kannst. Und was solltest du dort auf dich allein gestellt anfangen? Das Handelshaus deines Vaters übernehmen, gegen den Advocaten? Wie willst du deine Ansprüche durchsetzen? Um deine Sicherheit wäre mir sehr bange. Bedenke, nach allem, was wir wissen, kennt dieser Mann keine Skrupel! Oder willst du seinen Tod abwarten?« Diese Möglichkeit wischte er mit einer energischen Handbewegung beiseite und beendete eilig seine Rede, bevor ihn die Rührung übermannen konnte. » Denk über meine Worte nach. Die nötigen Verfügungen können schnell getroffen werden.«
    Mit diesen Worten erhob sich der alte Arzt, und um seine Bewegtheit zu verbergen begann er in einer der Kisten zu kramen.
    Auch Mirijam hatte mit den Tränen zu kämpfen. Sîdi Alî wollte sie an Kindes statt annehmen, er wünschte sich sie, das Waisenkind, als Tochter! Sie musste schlucken. Ihr war, als sähe sie den Hakim heute zum ersten Mal. Sie sah einen alten, gebeugten Mann mit sonnenverbranntem, faltigem Gesicht, feinfühligen, ein wenig knotigen Händen und hellen Augen, die leuchten konnten wie die eines Jungen. Sie beobachtete ihn, wie er in der Truhe mit den Salben und Kräuterbeuteln wühlte. Er war angespannt, das erkannte sie an den hochgezogenen Schultern.
    Plötzlich kam ihr ein Gedanke: Ob auch er sich manchmal einsam fühlte? Dann konnte sie gut verstehen, warum er sie zu seiner Tochter erwählen wollte.
    Langsam, mit einem Lächeln, das tiefe Grübchen in ihre Wangen zauberte, trat sie an seine Seite. Schmal und dunkel gebrannt von der Sonne stand sie neben ihm und sah zu, wie er mit zittrigen Fingern wahllos ein Teil nach dem anderen aus der Kiste holte und beiseitelegte. Schließlich griff sie nach seiner Hand und küsste sie voller Ehrerbietung, bevor sie sie an die Brust drückte, dorthin, wo ihr Herz schlug.
    » Ja, Abu, Vater«, formten lautlos ihre Lippen, als er sie anschaute. » Ich will gerne dein Kind sein.«
    Der alte Arzt zog sie in die Arme und strich über die weiße Baumwollkappe, die sie wie jeder Junge über den kurzen Haaren trug.
    » Al-hamdullillah! Gott sei Dank, so wirst du in unserem neuen Leben in Mogador also künftig Azîza

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