Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
schnitt lächelnd ihre Haare ab und zog die gandourah, das weite Hemdgewand, und die bequemen Hosen eines männlichen Reisenden an.
26
Unterhalb einer mächtigen Kasbah und hinter zinnenbewehrten Mauern lag das Dorf El-Mania. Stolz auf den Besuch des weit gereisten Heilkundigen lud der örtliche caïd sie in seine Burg und bewirtete sie mit den Früchten der Oase, mit safrangelbem Couscous und frisch geschlachtetem Hammel. Die Augen des Ortsvorstehers glänzten vor Freude über die seltene Abwechslung. Deshalb und wegen der neuen Geschichten, die er von den Gästen erwarten durfte, ließ er ihnen sein schönstes Terrassenzimmer anweisen und sorgte mit einigen zusätzlichen Kissen, die er ihnen persönlich überbrachte, für ihre Bequemlichkeit.
Mirijams Leben als Azîz, Sohn des Hakim, war nicht anders als zuvor, sie hatte die gleichen Pflichten und Aufgaben zu erledigen wie Azîza, das Mädchen. Überaus gut jedoch gefielen ihr die kurz geschnittenen Haare und auch die praktische Kleidung.
Nach zwei Tagen der Ruhe öffnete der alte Arzt seine Kiste mit Heilkräutern und Salben und nahm sich der Kranken des Dorfes an. » Allah hat mir mein Wissen und Können gegeben«, erklärte er Mirijam, die ihm zur Hand ging. » Und wenn irgend möglich wende ich diese Fähigkeiten zum Nutzen der Menschen auch an. Dennoch dürfen wir unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. Der Pascha hat hier zwar keinen Einfluss mehr, doch erst in Al-Maghrebija, dem äußersten Westen, werden wir wirklich vor ihm sicher sein.«
Bei den Händlern und Handwerkern von El-Mania besorgten sie neue Ziegenbälge für Trinkwasser und kauften einen gepolsterten Sattel für den Hakim sowie geflochtene Packtaschen für die Vorräte. Außerdem erstanden sie zusätzliche Decken aus Ziegenhaar sowie reichlich Mehl, Tee und Zucker, einige Säcke Datteln und getrocknetes Fleisch. Alî el-Mansour verhandelte geschickt, zahlte aber aus einem wohlgefüllten Beutel, weshalb sich die Händler bald um seine Kundschaft rissen und sich mit verlockenden Angeboten zu übertreffen suchten.
Nach kurzer Zeit besaßen sie nicht nur weitere vier gute und starke Tiere, so dass ihre Karawane nunmehr aus neun Kamelen bestand, der Alte konnte auch zwei junge Kameltreiber vom Stamm der Beni Yenni anheuern, die bereit waren, den langen Weg mit ihnen zu gehen.
Mirijam packte sorgfältig die aus Tadakilt mitgebrachte Ausrüstung – neben Kleidung vorwiegend Bücher, aber auch Heilkräuter und Gerätschaften zur Bereitung von Salben und Tinkturen – in die neuen Packtaschen um, damit alles ohne Schaden transportiert werden konnte. » Nichts davon darf verloren gehen«, hatte der Hakim angeordnet. » Wir werden diese Dinge in Bereber Amogdul, wie das portugiesische Mogador auch genannt wird, dringend benötigen.« Mogdura, Mogador, Bereber Amogdul: diese Stadt hatte offenbar zahlreiche Namen. Sie klangen allesamt verheißungsvoll.
» Wo hast du dein Schreibzeug? Es gibt einiges zu bereden«, sagte der alte Arzt und ließ sich auf seinem Lager nieder. Nach der Gewalttour durch die Wüste genoss er nun die Annehmlichkeiten eines weichen und warmen Bettes und die regelmäßigen Mahlzeiten. Dennoch drängte es ihn bereits weiter.
Mirijam holte Feder und Papier aus der Kiste und rührte Tinte an. Es brach ihm jedes Mal fast das Herz, wenn er diese Handgriffe sah. Wie sie sich plagen musste! Und wie tapfer sie das alles ertrug! Dabei sollte sie doch eigentlich unbefangen reden, Fragen stellen, ihre Ansichten äußern, singen und lachen …
Als endlich alles parat war, schrieb sie ihre Fragen nieder.
» Was gibt es in Mogador?«
» Elfenbein, Gewürze, Fische, Wolle, und noch vieles mehr. Es ist ein Umschlagplatz, verstehst du? Die Karawanen von jenseits des großen Sandmeers bringen Elfenbein, Straußenfedern und Gold dorthin«, antwortete der Alte.
» Was werden wir dort tun?«
» Allah wird uns einen Hinweis geben, auf jeden Fall werde ich aber wohl als Heiler praktizieren. Außerdem sind dort die Musiker der gnaoua heimisch, du erinnerst dich? Man sagt, sie könnten Kranke durch Musik und Tanz heilen. Das interessiert mich natürlich über alle Maßen, wie du dir denken kannst.«
Mirijam schaute ihn erwartungsvoll an.
» Außerdem sollen im Meer bei Mogador seltene Schneckentiere leben, murex oder Herkuleskeule genannt, die einen außergewöhnlichen Farbstoff produzieren. Vielleicht kann ich einige Experimente mit ihnen anstellen«, fuhr er fort. » Wir werden sehen.
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