Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
auf dem nassen Holz nicht länger halten und glitten ins Meer, andere Seeleute rutschten vom Achterdeck in die Gischt. Der Kaufmannssohn, ein junger Bursche, der eigentlich unter Deck in der luxuriösen Achterkajüte sein sollte, klammerte sich an eine der Decksleinen. Hoffentlich ließ er rechtzeitig los, denn lange würde sich das Schiff nicht mehr halten. Dann sah Miguel, dass sich eines der Taue um den Fuß des jungen Mannes geschlungen hatte. Vergeblich bemühte sich der Junge, seinen Fuß zu befreien.
Zwei Männer stürzten aus der Takelage. Schreiend und mit den Armen rudernd fielen sie in die Tiefe und verschwanden in den Fluten. Der Mast brach, traf einen Matrosen am Kopf und zerschmetterte seinen Körper auf den Decksplanken, bevor er auf die Reling krachte und sie zertrümmerte. Inmitten dieses Infernos sang jemand einen Psalm.
Miguel kämpfte sich zu dem jungen Passagier vor und deutete auf das Messer in seinem Gürtel. Er hatte keine Hand frei, doch der Bursche verstand sofort. Er packte das Messer und zog es aus dem Gürtel. Dann schnitt er die Leine durch und sprang auf die Füße.
» Danke!«, rief er gegen den Wind. » Ich danke Euch!«
» Gib mir das Messer zurück!«
Der junge Mann nickte. Er wartete den nächsten Brecher ab, dann schleuderte er Miguel den Dolch zielsicher zwischen die gespreizten Füße. Guter Wurf, dachte der Steuermann. Der Griff federte noch, als Miguel zupackte, das Messer aus dem Holz zog und wieder am Gürtel befestigte.
» Kannst du schwimmen? Dann spring!«, schrie er dem jungen Kerl über das Tosen zu. Damit wandte er sich ab. Jetzt war sich jeder selbst der Nächste.
In der Ferne leuchtete und lockte das Bergland der afrikanischen Küste im ersten Morgenlicht. Miguel schätzte die Entfernung zur Küste auf etwa eine halbe Meile. » Lieber Gott, hilf diesen tapferen Männern.«
Er vergewisserte sich, dass sein Messer neben dem alten Oktanten fest im Gürtel steckte und bekreuzigte sich. Dann sprang er.
31
Die Wellen hatten Miguel hoch auf einen felsigen Strand gespült. Kiesel und Steine drückten in sein Gesicht. Die Sonne glühte, sie dörrte die schwarzen, salzverkrusteten Haare und brannte das Hemd auf die Haut. Bewegungslos lag er da, mit offenen, blicklosen Augen. Wie lange war er schon hier? War er bewusstlos gewesen oder erschöpft eingeschlafen? Und wo war er? Que diabos, was zum Teufel war eigentlich geschehen?
Miguel stützte sich auf Knie und Hände und schaute umher. Er befand sich in einer engen, mit Felsbrocken übersäten Bucht, vor sich eine ausgewaschene Felswand, etwa zehn Fuß hoch, und im Rücken die tosende Brandung. Im Spülsaum des Strandes dümpelten Holzteile, Taue, Kisten und Fässer. Plötzlich fiel ihm alles wieder ein.
Vor Wut über den Stümper da Palha war er aus der Haut gefahren, erinnerte er sich, und an den falschen Kurs, die Wassermassen, die über das Schiff kamen, und schließlich an das berstende Holz. Er wusste nicht, wie es eigentlich hatte geschehen können, aber irgendwann war das Schiff auf Felsen aufgelaufen und zerschellt. Männer waren über Bord gegangen, ersoffen wie Ratten, während die San Pietro immer mehr Wasser aufnahm. Und er? Auch das fiel ihm jetzt wieder ein. Er war über Bord gesprungen und buchstäblich um sein nacktes Leben geschwommen.
Miguels Magen hob sich, und er übergab sich auf den Strand. Als endlich alles Salzwasser heraus war, zitterten seine Knie so sehr, dass er zu Boden ging. Doch abgesehen von dem scheußlichen Geschmack im Mund ging es ihm ein wenig besser.
Gar nicht einfach, wieder auf die Beine zu kommen, wenn Knie und Waden, wenn eigentlich der ganze Körper vor Schwäche zitterte. Seine Kräfte waren aufgebraucht, sein Herz raste. Erst nach mehreren Versuchen gelang es Miguel aufzustehen. Breitbeinig und schwankend, als gälte es immer noch den Seegang an Deck auszugleichen, stand er schließlich auf den Füßen.
War er verletzt? Vorsichtig tastete er Kopf und Gliedmaßen ab. Jede Menge Abschürfungen und Beulen spürte er, der Kopf schmerzte und auch die Brust, außerdem hatte er blutende Schnitte am Fuß und der Wange abbekommen, aber zum Glück keine ernsthaften Verletzungen. Die Schuhe waren fort, und Hemd und Hose hatten Risse, dafür saßen Messer und Oktant fest an seinem Gürtel. Insgesamt hatte er also Glück gehabt.
Nun entdeckte er auch das Schiff, oder besser dessen Reste, denn lange würde es nicht mehr als Schiff erkennbar sein. Als hätten sie Freude an ihrem
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