Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Augen nicht hinter einem Schleier. Lediglich die schwarzen Zöpfe, die sie um den Kopf geschlungen trug, bedeckte sie mit einem hübschen Tuch, einem Geschenk von Sarah. Wenn sie ihr Haar löste, floss es in langen Wellen über ihren Rücken.
Lâlla Sarah, ihre fröhliche junge Herrin, bereitete gern Geschenke. Doch nicht wegen ihrer Freigiebigkeit liebte sie Sarah, sondern wegen ihrer Freundlichkeit und ihres heiteren Wesens. Manchmal war sie vielleicht allzu unbesorgt, aber sie hatte für jeden ein offenes Ohr, ein weites Herz und war immer für einen Spaß zu haben. Genau wie Yasmîna lachte auch Sarah gern, so dass die beiden jungen Frauen häufig miteinander herumalberten. Normalerweise war es also leicht, für Lâlla Sarahs Wohlergehen zu sorgen, in letzter Zeit jedoch nicht mehr.
Nachdenklich betrachtete Yasmîna Sarahs Wäsche, die sie in die Kommode einräumen wollte. Irgendetwas kam ihr falsch vor, stimmte nicht, war anders als sonst. Sie hätte jedoch nicht zu sagen gewusst, was das sein könnte.
Vielleicht war sie aber auch einfach allgemein beunruhigt, nachdem im Haus so schlechte Stimmung herrschte und alle mit gerunzelter Stirn herumliefen und sich die Herrschaft nur mit kaltem Schweigen und gesenkten Blicken begegnete. Die drei sprachen nur das Nötigste miteinander, und das, was gesagt wurde, klang falsch, als sei man sich fremd. Niemand lachte und niemand sang, nicht einmal ihre geliebte Lâlla Sarah. Wie konnte das sein? Sie kannte keine Familie, in der sich nicht einer darum bemühte, dass man nach einem Streit oder einer Unstimmigkeit wieder zueinanderfand. Hier aber wurde es von Tag zu Tag schlimmer.
Der Herr kam neuerdings erst spät nachts nach Hause und roch dann nach Wein und Tabak. Und Lâlla Mirijam? Ihre Anweisungen gab sie mit leiser Stimme, als sei jemand krank im Haus und als müssten sie alle auf Zehenspitzen gehen.
In Zeiten wie diesen, wo jede Kleinigkeit das Fass zum Überlaufen bringen konnte, wünschte sie manchmal, unsichtbar zu sein. Da das aber nun einmal nicht möglich war, galt es zumindest, jeden Fehler zu vermeiden. Mit der Wäsche schien zum Glück doch alles in Ordnung zu sein. Sie wartete strahlend weiß, glatt und nach Sonne und Kräutern duftend, wie Lâlla Sarah es liebte, darauf, eingeräumt zu werden. Erleichtert öffnete Yasmîna die oberste Schublade und legte die Stücke hinein. Dabei fiel ihr Blick auf den Stapel mit den Binden, die ihre Herrin für ihr Monatsblut verwendete.
Das also war ihr falsch vorgekommen: Es waren keine Monatsbinden in der Wäsche gewesen. Wann hatte sie eigentlich das letzte Mal diese mehrfach gefalteten Baumwolltücher gewaschen, wann die Schwämmchen ausgekocht, die in die Tücher gewickelt wurden? Die junge Berberin verharrte reglos.
Mit Schrecken wurde ihr klar, dass sie diese besonderen Tücher zuletzt in Mogador gewaschen hatte. Während sie nachrechnete, wurde ihr immer banger ums Herz. Doch sie irrte sich nicht. Zur Zeit der allerersten Frühlingsrosen in Mogador hatte sie die Tücher gewaschen, seither nicht mehr.
Inzwischen aber erstrahlte bereits der heiß glühende Sommermond über Santa Cruz, und beinahe drei Monde hatten seitdem ihre Reise über den Nachthimmel vollendet.
2. Teil – UNTERWEGS
9
Die Ruinen eines ehemals beeindruckenden Anwesens zeichneten sich gegen den Abendhimmel ab. Verstreut am Hang lagen die Reste von eingestürzten Wänden, halbhohen Steinfundamenten und Lehmmauern, weiter unten fanden sich sogar noch die Holzstümpfe einer uralten Brücke. Nach den Tagen zwischen den aufgeheizten Mauern der Stadt, nach all dem Getöse der Menschen auf den Souqs und dem Treiben in der Karawanserei empfand der junge Berber die Stille in diesem weiten Tal als Wohltat. Er gab das Zeichen, und die Karawane kam zum Stehen.
Als Erstes knickte Azîzas Reitkamel in den Beinen ein, legte sich nieder und ließ die Reiterin absteigen. Mit steifen Gliedern glitt das Mädchen vom Tier, rieb seine Rückseite und verzog den Mund.
» Ich hatte dich vorgewarnt«, meinte der junge Karawanenführer mit unterdrücktem Lachen.
» Habe ich mich beschwert?«, fauchte Azîza. Sie reckte sich und warf ihrem Bruder einen empörten Blick zu. Dann wandte sie sich ab, ordnete ihr Gewand und bückte sich, um ihre Sandalen anzuziehen.
Hinter seinem Schleier musste Saïd grinsen. Er wusste, dass sie es hasste, in einer Frauensänfte herumgeschaukelt zu werden. Doch wenn sie stattdessen reiten wollte, musste sie die Folgen tragen, das
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