Purpurdämmern (German Edition)
Akelei ihre Blättchen ausstreckte und sich in Marielles Hand schmiegte, als wäre sie ein lebendiges Kätzchen. Nun war er es, der um Fassung rang. Hatte er etwa Blumen mit Bewusstsein erschaffen? Erhoben sie sich als Nächstes auf ihre Blätterfüßchen und wateten an Land?
»Können die auch laufen?«, ächzte er.
Marielle hob den Kopf und blickte zu ihm auf. In ihren Augen lag ein rätselhafter Ausdruck, um ihre Lippen spielte ein Lächeln. »Sag du’s mir. Du hast sie gemacht.«
»Ich … keine Ahnung.«
»Nein, können sie nicht.« Sie strich mit einer Fingerspitze ein Blütenblatt entlang. Das Blättchen richtete sich auf und rollte sich an ihrem Finger empor. »Wie hast du das geschafft?«
»Ich habe sie mir vorgestellt und – wusch – da waren sie.«
»Wusch, da waren sie? Einfach so?«
Er hob die Hände. »Hey, ich wollte nur den Schaden wieder in Ordnung bringen und dir eine Freude machen. Diese coolen Schilfhalme mit den Stäubchen habe ich nicht hinbekommen, also dachte ich, das wäre vielleicht ein brauchbarer Ersatz.«
»Das ist nicht dein Ernst.« Wenn er nur den Ausdruck in ihren Augen hätte lesen können. War das freudige Überraschung oder Entsetzen? Sie brachte ihn völlig aus dem Konzept.
»Wenn du die Holztulpen gesehen hättest, die ich vorher gemacht habe, dann wüsstest du das hier zu würdigen.«
»Nein, du verstehst nicht.« Sie schüttelte den Kopf und stand auf. Die Akelei zog sich auf ihren Handrücken und schlang ein paar Blätter in die Zwischenräume ihrer Finger. Marielle überbrückte mit drei raschen Schritten die Distanz zwischen ihnen und nahm seine Hände beugte sich vor und küsste ihn auf den Mund. Er konnte den Kuss nicht richtig genießen, weil er fürchtete, dass der Gestank des Urinflecks sie gleich zum Würgen brachte.
»Santino wird tot umfallen, wenn er das sieht. Und wenn ich das Magister Féach erzähle, kann er bestimmt zwei Monate nicht schlafen, weil er aus dem Grübeln nicht mehr herauskommt, wie du das gemacht hast.«
»Also heißt das, sie sind gut?«
Sie kicherte. »Sie sind ein Wunder. Also, wie hast du es gemacht?«
»Ich habe deine Blume als Vorbild genommen. Ich konnte sie mir gut vorstellen, weil ich sie hunderttausendmal in der Hand hatte. Aber meine«, er musterte die sich rekelnden Blütenblätter aus dem Augenwinkel, »hat sich niemals bewegt. Von mir haben sie das jedenfalls nicht.«
»Hörst du sie sprechen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Dann ist es ja klar.« Sie berührte die Blüte mit der Nasenspitze. »Sie geben sich dir nicht zu erkennen, wenn du sie nicht hören kannst. Aber mach dir keine Sorgen, Santino kann sie auch nicht hören.«
»Sie spricht mit dir? Wie die Katze?«
»So ähnlich. Weißt du überhaupt, was es mit den Blumen auf sich hat?«
»Tja, also –«
»Ich erkläre es dir. Gleich.« Marielle streifte sich die Stiefel von den Füßen und krempelte sich die Hosen bis zu den Knien hoch. Sie zog an seiner Hand. »Komm mit!«
Ihre Unbeschwertheit war ansteckend, der Schalk in ihren Augen, eine Aura purer Fröhlichkeit. Er gab seinen schwachen Protest auf, als sie sich bückte und ihn mit Wasser vollspritzte. Es war nur eine Formsache, dass er die Schuhe auszog und die Jeans aufrollte, er war ohnehin schon von oben bis unten durchweicht. Barfuß lief es sich besser als in den klammen Boots. Marielle zog ihn weiter in den See hinein. Die Blumen kitzelten ihn an den Füßen.
»Das ist Flüster-Akelei«, sagte sie. »Sie taucht kaum jemals auf den Märkten im Scharlachrot auf, und wenn sie es tut, bezahlt man für eine Blüte zweihundert Statere, das ist das Hundertfache ihres Gewichts in Gold. In eurer Welt ist Gold wertvoll, oder?«
Wow. »Also ist das hier ein Schatz?«
»Im Kern nicht so sehr, aber in den Welten des Scharlachrot und im Rabenfächer sehr wohl.« Sie ließ sich in die Knie sinken, zog ihn mit sich, ruckte an seinem Arm, sodass er das Gleichgewicht verlor. Gemeinsam fielen sie in die Blüten. Wasser spritzte und durchtränkte auch noch den Rest seiner Klamotten, doch das war egal, sie stieß ihn nicht fort, als er beide Arme um sie schlang. Quietschend und lachend rollten sie durch die Blumen, bewarfen sich mit Akelei, küssten sich und lagen schließlich still, Hand in Hand.
Das Wasser war warm, die Blütenblätter trieben sanft gegen ihre Haare und ihre Haut. Es war schön, mit Marielle in den Nachthimmel zu sehen, auch wenn das grünlich leuchtende Geflecht aus Rissen nun das ganze
Weitere Kostenlose Bücher